Blick von außen

Als in Jalta 1945 der Frieden organisiert werden sollte

Februar 1945: die „Großen Drei“ in Jalta (v. l.): Churchill, Roosevelt, Stalin.
© U.S. Department of Defense, Washington, D.C.

Churchill, Roosevelt und Stalin. Die Konferenz der „Großen Drei“ von 4. bis 11. Februar 1945 in Jalta.

Von Rolf Steininger

In der Nacht vom 2. auf den 3. Februar 1945 starteten 25 viermotorige Transportflugzeuge in Abständen von 10 Minuten auf Malta in Richtung Osten. Ihr Ziel: Saki, der Flugplatz von Jalta; an Bord: der schon vom Tode gezeichnete amerikanische Präsident Roosevelt und der britische Premierminister Churchill mit ihren Stäben – insgesamt 700 Personen.

Roosevelts Maschine landete um 12.10 Uhr; er wartete, bis 20 Minuten später Churchills Flugzeug eintraf. Erst dann wurde der Präsident in seinem Rollstuhl mithilfe eines Lifts zu Boden gelassen. Auf der Landebahn begrüßte ihn Stalins Außenminister Molotow; ein Eliteregiment hatte eine Ehrenwache gestellt, eine Militärkapelle spielte die Nationalhymnen.

O. Univ.-Prof. Dr. Rolf Steininger war von 1984 bis zu seiner Emeritierung 2010 Leiter des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck.
© Borchert Thomas

Bis zum Konferenzort waren noch einmal sechs Stunden Autofahrt erforderlich. Anschließend wurde dem kranken Roosevelt sofort Bettruhe verordnet. Am nächsten Morgen traf auch Stalin in Jalta ein. Die Konferenz konnte beginnen.

Mehr als 14 Monate waren seit dem Treffen der „Großen Drei“ Ende November/Anfang Dezember 1943 in Teheran vergangen. Jetzt ging es um die Zukunft Deutschlands und Polens und der übrigen von der Naziherrschaft befreiten Länder, um den Krieg gegen Japan und die Gründung einer neuen Weltorganisation, der Vereinten Nationen.

Deutschland: Zerstückelung, Reparationen, Oder-Neiße-Grenze?

Deutschland bereitete dabei noch die geringsten Schwierigkeiten. Dessen Aufteilung in drei Besatzungszonen war schon seit September 1944 eine beschlossene Sache; die oberste Regierungsgewalt sollte von Militärregierungen übernommen werden, ein alliierter Kontrollrat in Berlin war als zentrale Behörde vorgesehen. Stalin gab nun sogar dem Drängen Churchills nach: Frankreich sollte vierte Besatzungsmacht mit Sitz und Stimme im Kontrollrat und einer eigenen Besatzungszone werden, vorausgesetzt, diese ginge nicht zu Lasten der sowjetischen Zone.

Die übrigen Entscheidungen über die Zukunft Deutschlands betrafen die Zerstückelung, die Reparationen und die endgültige Ostgrenze. Hier übernahm Stalin die Initiative, aber Roosevelt und Churchill vermieden jede Festlegung. Die Zerstückelung Deutschlands in einzelne Staaten sollte von einem Ausschuss in London geprüft werden; die Forderung Stalins nach 10 Milliarden Dollar (nach heutigem Wert etwa 100 Milliarden) für die Sowjetunion wurde lediglich als Diskussionsgrundlage akzeptiert. Die Frage der deutschen Ostgrenze hing unmittelbar mit dem Thema zusammen, über das es in Jalta die meisten – sieben der acht – Sitzungen und hitzigsten Debatten gab: Polen. Wie kein anderes Land hatte Polen unter der Naziherrschaft gelitten; es wurde nun zum Prüfstein für die alliierte Zusammenarbeit. In Teheran waren sich die „Drei“ lediglich darüber einig gewesen, dass Polen als Ausgleich für die im Osten an die Sowjetunion verloren gegangenen Gebiete deutsche Gebiete erhalten sollte. Das war die berühmte Westverschiebung Polens. Die Frage war: wie weit nach Westen? Es war von der Oder die Rede gewesen. Churchill hatte sich bereit erklärt, Polen auch den Bezirk Oppeln zu geben. Damit war zugleich klar, dass er von der östlichen Neiße gesprochen hatte. Beschlüsse waren nicht gefasst worden.

In Jalta verlangte Stalin jetzt als Grenze die westliche Neiße, die Görlitzer Neiße. Damit beanspruchte er ganz Schlesien für Polen. Churchill widersprach. Die Frage blieb offen und wurde mit der Formel zugedeckt, Polen im Norden und Westen einen beachtlichen territorialen Zuwachs zuzugestehen; die definitive Grenze sollte auf einer zukünftigen Konferenz festgelegt werden.

Rolf Steininger, Die USA und Europa nach 1945, Lau Verlag, Reinbek b. Hamburg 2018, 307 Seiten, 22,90 Euro.
© Lau Verlag

Die Zukunft Polens

Der nächste Punkt betraf die politische Zukunft Polens. Stalin ignorierte die polnische Exilregierung in London und hatte die von ihm unterstützten Kommunisten in Warschau Anfang Jänner als rechtmäßige polnische Regierung anerkannt. Der schließlich erzielte Kompromiss entsprach den Realitäten – in Polen stand die Rote Armee – und ließ Roosevelt und Churchill ihr Gesicht wahren: Die kommunistische Regierung sollte durch Hinzuziehung von „demokratischen Führungskräften“ auf „breiter demokratischer Basis“ umgebildet werden und alsbald „freie und uneingeschränkte“ Wahlen organisieren. Roosevelt ließ seine ursprüngliche Forderung nach Bildung einer völlig neuen, aus Kommunisten und Exilpolitikern paritätisch besetzten Regierung ebenso fallen wie die Kontrolle dieser Wahlen durch die Alliierten.

Erklärung über das befreite Europa

Die Verständigung mit der Sowjetunion sollte nicht gefährdet werden, zumal Stalin auch einer „Erklärung über das befreite Europa“ zustimmte, die ebenfalls vielseitig interpretierbar war. Die drei Regierungen verpflichteten sich darin, ihre Politik „zur Unterstützung der von der Herrschaft Nazideutschlands befreiten Völker der ehemaligen europäischen Satellitenstaaten der Achse bei der Lösung ihrer drückenden politischen und wirtschaftlichen Probleme durch demokratische Mittel aufeinander abzustimmen“.

Die befreiten Völker sollten in die Lage versetzt werden, „demokratische Einrichtungen nach ihrer eigenen Wahl zu schaffen“. Roosevelt hatte damit eine jener öffentlichen Erklärungen, wie er sie schon in Teheran gewünscht hatte und die ihm persönlich hilfreich sein würde.

Der Krieg gegen Japan

Auch in einem anderen Punkt zeigte Stalin Solidarität: Er verpflichtete sich, drei Monate nach Kriegsende in Europa in den Krieg gegen Japan einzutreten. Der Preis dafür: Internationalisierung des Hafens von Dairen, Verpachtung des Flottenstützpunktes von Port Arthur, Verwaltung der chinesischen Ostbahn und der südmandschurischen Eisenbahn, Erwerb von Südsachalin – kurz: die Rückgabe dessen, was der Zar 1904/05 im Krieg gegen Japan verloren hatte.

Vereinte Nationen

Schließlich kam Stalin Roosevelt auch bei der Verwirklichung von dessen Lieblingsidee entgegen: den Vereinten Nationen. Er zog seine ursprüngliche Forderung auf 16 Stimmen für die Sowjetunion in der UNO-Vollversammlung zurück und beschränkte sich auf höchstens vier. Roosevelt machte dafür beim Vetorecht das entscheidende Zugeständnis: In allen Konfliktfällen, zu deren Lösung auch militärische Maßnahmen notwendig würden, sollte eine Großmacht ihr Veto einlegen können. Für Stalin war damit die Gefahr gebannt, dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zum Instrument einer antisowjetischen Politik würde.

Der „Verrat von Jalta“

Roosevelt und Churchill stimmten der – auch zwangsweisen – Rückführung sowjetischer Kriegsgefangener zu, die an der Seite Deutschlands gekämpft hatten (u. a. Soldaten der Wlassow-Armee) und für die das Gulag oder Tod bedeutete. Diese Vereinbarung, die als „Verrat von Jalta“ in die Geschichte eingegangen ist, wurde jahrzehntelang geheim gehalten. Osttirol wurde wenig später Schauplatz eines der übelsten Kapitel in dieser Geschichte, als die Kosaken von den Briten zwangsweise in die Züge verfrachtet wurden: Für sie war das das Todesurteil.

Der große Irrtum

Am 11. Februar ging die Konferenz zu Ende. Amerikaner und Briten waren überzeugt, gemeinsam mit der Sowjetunion den Grundstein für eine neue, bessere Welt gelegt zu haben. Das war ein großer Irrtum und mit Stalin nicht zu machen. Im März meinte Roosevelt intern: „Stalin hat sämtliche Versprechungen nicht eingehalten, die er in Jalta gemacht hat.“ Als Franklin D. Roosevelt am 12. April 1945 starb, zeigte die Entwicklung bereits in Richtung eines neuen Krieges, des Kalten Krieges.

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