„Répertoire des villes disparues": Mystery-Story in Kanadas hohem Norden
Denis Côté erzählt mit „Répertoire des villes disparues – Ghost Town Anthology“ eine Geistergeschichte in einer Kleinstadt in Québec.
Innsbruck –Durch einen tödlichen Autounfall gerät im kleinen Dorf Irénée-les-Neiges der Alltag aus dem Lot. Denis Côté siedelt seine freie Roman-Adaption „Répertoire des villes disparues – Ghost Town Anthology“ in dieser 215-Seelen-Siedlung in Québec an. Ein beschaulich-verschneiter Ort, wenn auch deprimierend weit am Ende der Welt, ein kanadisch-französisches „Fargo“.
Viele Junge gehen weg und kommen nicht wieder. Fortgehen oder Bleiben ist auch Thema zwischen Jimmy Dubé (Robert Naylor) und seinem Bruder Simon, bevor dieser gegen eine Mauer fährt. Die Leiche wird bis zum Frühling im Schuppen aufbewahrt. Doch zur Trauer in der Gemeinde kommt ein unheimliches Element. Die Toten kehren zurück – nicht als aggressive Zombies wie im Horrorfilm, sondern als stumme, traurige Erscheinungen auf der Straße oder in der Luft über einem Feld, einige tragen seltsame Masken.
Jeder im Dorf geht anders damit um. Außenseiterin Adele (Larissa Corriveau) fürchtet sich, das grantige alte Ehepaar Louise (Jocelyne Zucco) und Richard (Normand Carrière) ist neugierig, und Jimmy hofft auf ein Zeichen seines toten Bruders.
Die machtbewusste Bürgermeisterin mit dem vielsagendem Namen Simone Smallwood (Diane Lavallee) tut ihr Bestes, um die Stimmung unter Kontrolle zu halten und die Behörden aus Montreal auf Abstand. „Es gibt keine Berichte von Gewalt“, beruhigt auch die hinzugezogene Psychologin die Einwohner.
Ähnlich wie schon Mati Diops allegorische Wiedergänger in „Atlantique“ inszeniert Denis Côté seine Geistergeschichte nicht unheimlich-bedrohlich. Auch die Überraschung über die Erscheinungen währt nicht lange: Bald werden sie überall in der Provinz gesichtet.
Stattdessen nimmt Côté das übernatürliche Phänomen als Katalysator für die unausgesprochenen Probleme der Gemeinde wie das ungesunde Schweigen oder die omnipräsente Frage Bleiben oder Gehen? Er rutscht nie wirklich ins Symbolisch-Psychoanalytische ab, sondern erzählt glaubhaft von echten Menschen. Hinzu kommt ein analoger Filmlook mit reduzierten Farben, einer Geistergeschichte angemessen.
Kritiker-Liebling Côté heimste mit seinem 11. Film eine Einladung zum Berlinale-Wettbewerb und viel Aufmerksamkeit für seine Geister ein.
„Ghost Town Anthology“ ist ein angenehm zurückhaltender, wenn auch etwas unentschlossener, kleiner Film über eine winterliche Geisterstadt. (maw)