„Die Kakerlake“: Frustabbau am Vorabend des Brexits
Ian McEwan lässt in seinem zornigen Büchl „Die Kakerlake“ schädliches Krabbelgetier zu Politikern mutieren.
Von Markus Schramek
Innsbruck –Zorn, sogar ein heiliger, ist ein schlechter Ratgeber. Man soll im Affekt keine bösen E-Mails schreiben, und auch die Romanform ist ein heikles Ventil, um Dampf abzulassen. Ian McEwan ist der Verlockung des schreibenden Frustabbaus erlegen.
Wir schätzen den Briten als verlässlichen Lieferanten hochklassigen Lesestoffs („Nussschale“ oder „Maschinen wie ich“ sind jüngere Beispiele): intelligent, tiefgründig und nie um eine herzhafte Pointe verlegen. Und jetzt das: Den Brexit vor Augen, hat McEwan „Die Kakerlake“ auf den Markt geworfen, ein böses, zorniges Büchl. Es ist kurz ausgefallen, dafür ist es inhaltlich umso heftiger.
McEwan lässt eine Kakerlake in den Körper des britischen Premierministers schlüpfen. Auch der Rest der Ministerriege besteht, mit einer Ausnahme, aus krabbelnden Sechsbeinern, die Menschengestalt annehmen. Eine Verwandlung frei nach Franz Kafka, nur eben verkehrt herum: Bei Kafka mutiert ein Mensch zum Ungeziefer.
McEwans kafkaeske Anleihe erfolgt nicht ohne Kalkül. Denn Kakerlaken, Schreckgespenster ordnungsliebender Zeitgenossen, fühlen sich in einem richtig verdreckten Ambiente besonders wohl.
Kein sehr schmeichelhafter Vergleich also, den McEwan da seinen Landsleuten präsentiert. Frei nach dem Motto „It’s a dirty job, but someone has got to do it“ lässt McEwan die schmutzaffinen Tierchen, als Politiker getarnt, den Brexit vollziehen: volle Kraft zurück und raus aus Europa.
Natürlich ist dies ein bewusst ins Groteske verzerrtes Szenario. Und als Leser darf man bei McEwan wie gewohnt auch wieder lauthals loslachen. Etwa, wenn der Premierminister, hier Jim Sams genannt, der deutschen Kanzlerin folgenden Deal vorschlägt: Deutschland importiert Autos ins Königreich und leistet dafür zusätzlich Zahlungen; im Gegenzug veredelt Großbritannien seinerseits Riesling-Exporte aus Glasgow (ausgerechnet!) nach Deutschland mit Extra-Geld.
Zwar hat der tatsächlich amtierende britische Regierungschef bei Verhandlungen mit der EU wiederholt mit Vorschlägen für Kopfschütteln gesorgt. Derart Aberwitziges wäre aber selbst ihm nicht eingefallen.
Bei allem (europäischen) Unverständnis für den Brexit: Es mutet fragwürdig an, Politiker, die vom Volk demokratisch gewählt wurden, auf eine Stufe mit ungustiösen Schädlingen zu stellen.
Hoffentlich verraucht McEwans Zorn bald wieder. Er kann es viel besser.
Roman Ian McEwan: Die Kakerlake. Diogenes, 133 Seiten, 19,60 Euro.