Regierungstruppen rücken im Nordwesten Syriens weiter vor

Im Kampf um das letzte großes Rebellengebiet in Syrien um die nordwestliche Stadt Idlib haben die Regierungstruppen weitere Geländegewinne erzielt. Die Armee habe westlich der Großstadt Aleppo Dutzende Dörfer unter Kontrolle gebracht, teilte ein Sprecher der Militärführung mit, wie die staatliche Agentur SANA am Montag berichtete.

Rettungshelfer meldeten, bei Luftangriffen auf den Ort Darat Izza nahe Aleppo seien zwei Spitäler getroffen worden und nun außer Betrieb. Ein Sprecher der Rettungsorganisation Weißhelme machte für die Bombardierungen Syriens Verbündeten Russland verantwortlich.

Die syrische Armee kontrolliert eigenen Angaben zufolge mittlerweile weite Teile der Gebiete um Aleppo im Nordwesten des Landes. Die Streitkräfte von Präsident Bashar al-Assad setzten ihre Offensive fort und würden Rebellengruppen auslöschen, „wo immer sie sich befinden“, erklärte das Militär am Montag.

Trotz Drohungen der Türkei mit Vergeltungsangriffen gegen seine Truppen wollte Assad die Offensive fortsetzen. Der Kampf werde „ungeachtet der leeren Worthülsen aus dem Norden“ weitergehen, sagte Assad in einer am Montagabend ausgestrahlten Ansprache im syrischen Staatsfernsehen.Der Präsident kündigte an, die Armee werde ganz Syrien von „Terror“ und „Feinden“ befreien.

Unterstützt wird die noch im Vorjahr begonnene Offensive von russischen Luftangriffen. Die Kämpfe haben Hunderttausende syrische Zivilisten veranlasst zu fliehen.

Rund 900.000 Menschen flohwn nach Angaben der Vereinten Nationen seit Beginn der Offensive aus dem umkämpften Nordwesten. Die überwiegende Mehrheit der Geflohenen seien Frauen und Kinder, hieß es in einer UN-Erklärung am Montag. Der Konflikt habe „ein schreckliches Ausmaß erreicht“, sagte der UN-Nothilfekoordinator Mark Lowcock.

Die Menschen seien traumatisiert und gezwungen, bei eisigen Temperaturen draußen zu schlafen, weil die Lager voll sind. „Mütter verbrennen Plastik, um die Kinder zu wärmen. Babys und Kleinkinder sterben wegen der Kälte“, erklärte Lowcock, der alle Konfliktparteien zu einem einen Waffenstillstand aufforderte.

In der vergangenen Woche konnten die syrischen Regierungstruppen eine wichtige Versorgungsroute einnehmen. Damaskus und Moskau argumentieren, sie bekämpften in der Region Terroristen. Dominiert wird das Gebiet von der Al-Kaida-nahen Miliz Hayat Tahrir al-Sham (HTS). Dort kämpfen aber auch gemäßigtere Regierungsgegner.

Offenbar wollen die Regierungstruppen und mit ihr verbündete Milizen die Region um Idlib in zwei Gebiete teilen. Sollte ihnen das gelingen, würden sie den Zivilisten den Fluchtweg in Richtung Norden abschneiden, wo türkische Truppen und verbündete Rebellen eine Region an der Grenze kontrollieren. In dem Gebiet um Idlib leben nach UNO-Schätzungen rund drei Millionen Menschen. Allein seit Anfang Dezember sind nach UNO-Angaben mehr als 800.000 Menschen vor der Gewalt und den heranrückenden Regierungstruppen geflohen.

Helfer beklagen eine katastrophale humanitäre Lage. Es fehlt an Unterkünften, Nahrungsmitteln, Heizmaterial und medizinischer Versorgung. Viele Menschen schlafen trotz Wintertemperaturen in notdürftig errichteten Zelten aus Plastikplanen. In der Vergangenheit waren immer wieder Kliniken bombardiert worden. Regierungsgegner werfen Syrien und Russland vor, gezielt lebenswichtige Infrastruktur anzugreifen, um die Menschen zur Aufgabe zu zwingen.

Russland verteidigte am Montag die Offensive an der Seite der syrischen Armee rund um Idlib. Russland bedauere, dass „diese Terroristen“ von Idlib aus aktiver geworden seien, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Montag laut der Agentur Interfax.

Peskow äußerte sich, nachdem US-Präsident Donald Trump Moskau zu mehr Zurückhaltung im Syrien-Konflikt aufgefordert hatte. Russland sollte seine Unterstützung „für die Gräueltaten des Regimes“ beenden, teilte das Weiße Haus nach einem Telefonat Trumps mit dem türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan mit. Russland hatte der Türkei zuletzt vorgeworfen, zu wenig zu tun im Kampf gegen die Rebellen in der Region, die im Gegensatz zu Moskau von Ankara unterstützt werden.

Die Lage in Idlib sollte auch Thema eines Treffens von Vertretern Russlands und der Türkei an diesem Montag in Moskau sein. Zuvor sei bereits eine russische Delegation in Ankara gewesen.

Unterdessen hat die syrische Armee einem SANA-Bericht zufolge in einer ehemaligen Rebellenhochburg nahe der Hauptstadt Damaskus ein Massengrab mit sterblichen Überresten von rund 70 Menschen entdeckt. Bei den Toten in der Region Ost-Ghouta handle es sich um „Zivilisten und Sicherheitskräfte, die von Terrorgruppen hingerichtet wurden“.

Die dicht besiedelte Region Ost-Ghouta östlich von Damaskus wurde rund sechs Jahre lang von Rebellen und Jihadisten kontrolliert. Im April 2018 wurde sie in einer blutigen Offensive von den syrischen Regierungstruppen zurückerobert. Bei der Offensive wurden mindestens 1.700 Zivilisten getötet.

Wie SANA unter Berufung auf einen ranghohen Polizeibeamten berichtete, wurden die Opfer aus dem Massengrab zwischen 2012 und 2014 getötet. Das Massengrab in der Nähe der Stadt Duma befindet sich in einem Gebiet, das damals von der islamistischen Rebellengruppe Jaysh al-Islam kontrolliert wurde. Laut SANA waren viele der Opfer, darunter auch eine Frau, gefesselt und durch Kopfschüsse getötet worden. Die Nachrichtenagentur AFP konnte die Angaben von SANA zunächst nicht überprüfen.

In Syrien wurden in den vergangenen Jahren viele Massengräber gefunden, vor allem in Gebieten, die vorher von der Jihadistenmiliz „Islamischer Staat“ (IS) kontrolliert wurden. Seit Beginn des Syrien-Konflikts im Jahr 2011 wurden nach Angaben von Aktivisten mehr als 380.000 Menschen getötet worden. Tausende weitere werden vermisst.

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