Kammerspiel „Das Interview“: Vertrauen ist gut, Täuschung ist besser
Intensiv: Birgit Minichmayr und Oliver Nägele im Kammerspiel „Das Interview“ am Wiener Akademietheater.
Von Bernadette Lietzow
Wien – Flexibilität und ihre Folgen: Diese allseits geforderte Eigenschaft müssen nicht nur die Figuren in „Das Interview“ an den Tag legen, wo Pierre, der Politikredakteur, in die Untiefen der Society-Berichterstattung eintauchen soll und der Soap-Star Katja sich eigentlich auf einen der üblichen Kulturjournalisten eingestellt hatte. Flexibilität beweisen offensichtlich auch Birgit Minichmayr und Oliver Nägele, die ursprünglich als „Tosca“ und Bösewicht Scarpia in einer Inszenierung von Kornél Mundruczó auf der Bühne stehen sollten.
Drei Wochen vor der Premiere wurde diese Produktion wegen „künstlerischer Differenzen“, so die knappe Mitteilung des Burgtheaters, abgesagt und kurzfristig auf die Bühnenversion des Films „Das Interview“ des 2004 von einem islamistischen Fanatiker erschossenen niederländischen Provokateurs Theo van Gogh umgeschwenkt. Als Regisseur sprang Hausherr Martin Kušej ein und zauberte eine „Neuinszenierung“ seines Züricher Erfolges des Jahres 2009 aus dem Hut, wo Birgit Minichmayr schon als Katja zu sehen war. Ein äußerst tragfähiger Notnagel, wobei nicht zu leugnen ist, wie ungleich spannender Victorien Sardous origineller Bühnenerfolg „Tosca“ (Grundlage für Puccinis Oper) gewesen wäre.
Sei’s drum, erleben kann man am Akademietheater nun erstklassiges, dichtes Schauspiel, dargeboten in einer glänzenden Balance zwischen Durchtriebenheit, Witz, Verzweiflung und Selbstentblößung. Zwei waidwunde Tiere umkreisen sich hier in der schick-anonymen, mit Edelteppichen und Flatscreen ausgestatteten Wohnung (Bühne: Jessica Rockstroh) der erfolgreichen Seriendarstellerin mit der berufsbedingten Barbie-Anmutung. Birgit Minichmayr, ganz in Schwarz, das goldblonde Langhaar wie einen Fetisch ständig berührend, stellt ein großartig ambivalentes Wesen vor, das im Bewusstsein seiner „déformation professionelle“ ganz schnell und, wie sich herausstellen wird, völlig ungerührt die Rollen wechseln kann, von der Täterin zum Opfer und retour, vom Film-Dummerchen zur ironiebegabten Analytikerin ihrer Branche.
Oliver Nägeles Pierre ist der kongeniale Partner in diesem verbalen Ping-Pong-Spiel: Er erweckt den alternden Journalisten, der zu viel erlebt hat, siehe Bosnienkrieg, um seinen „überholten“ Zugang zu seinem Gewerbe ins rasend oberflächliche mediale Heute zu überführen, sehr gekonnt zum Leben. Neunzig Minuten dauert dieses schlussendlich folgenreiche Zusammentreffen, in dem unter amüsant-philosophischen Thesen des selbst ernannten „Silikonhirnes“ Katja zur Funktion von Netzstümpfen und Stöckelschuhen die große Einsamkeit und der fatale Vertrauensverlust des Medienzeitalters hervorblitzen. Van Goghs „Das Interview“ ist ein klassisches „Well-made play“, mit der genretypischen steten Gefahr, ins Lapidare oder Unglaubwürdige abzugleiten. Minichmayr und Nägele umschiffen diese Klippe souverän. Empfehlung.