EU und Großbritannien beschließen Verhandlungslinien
Die EU und Großbritannien sind für die Verhandlungen über ihre künftigen Beziehungen startklar: Beide Seiten verabschiedeten am Dienstag die Mandate für ihre Chefunterhändler. Die EU stellte London dabei ein Freihandelsabkommen ohne Zölle und mengenmäßige Beschränkungen in Aussicht, verlangt aber Garantien gegen Sozial-, Umwelt- und Steuerdumping.
London will sich aber nicht automatisch an EU-Regeln halten. Die schwierigen Gespräche sollen ab Montag beginnen. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) erwartet „keine einfachen Verhandlungen“ über die künftigen Beziehungen nach dem Brexit. Kurz sollte am späten Nachmittag Premierminister Boris Johnson in London treffen.
EU-Brexit-Chefunterhändler Michel Barnier teilte mit, die erste Gesprächsrunde werde bis Donnerstag dauern. Eine zweite Runde werde sich noch im März in London anschließen. Die EU wolle in insgesamt zehn Verhandlungsgruppen parallel über Themen wie Handel, Sicherheit und Außenpolitik sprechen. „Die Verhandlungen werden komplex, herausfordernd und sehr schwierig werden.“ Ergebnisse werde es nicht um jeden Preis geben, betonte Barnier. „In einer sehr kurzen Zeit kann man nicht alles machen. Wir machen so viel, wie wir können.“ Die Verhandlungsfrist läuft bis Ende des Jahres.
In Brüssel verabschiedeten die EU-Europaminister das Mandat für Chefunterhändler Michel Barnier. Die Positionen der EU und Großbritanniens liegen nach Ansicht von Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) „relativ weit auseinander“. Ihrer Ansicht nach ist es aber im Interesse sowohl der 27 EU-Länder und des Vereinigten Königreich, „in Zukunft enge Kontakte zu pflegen“. „Großbritannien ist aus Europa nicht wegzudenken“, so Edtstadler.
Die EU wolle „möglichst enge und freundschaftliche Beziehungen“ zu Großbritannien, sagte der deutsche Europa-Staatsminister Michael Roth (SPD). Ein Freihandelsabkommen könne es aber nur geben, wenn sichergestellt sei, dass es nicht zu „unfairen Wettbewerbsbedingungen“ zulasten der EU komme. Es dürfe kein Sozial- und Umweltdumping der Briten geben.
Großbritannien war am 31. Jänner aus der EU ausgetreten. In einer Übergangsphase bis Ende des Jahres bleibt das Land noch im EU-Binnenmarkt und der Zollunion. In dieser Zeit sollen die Vereinbarungen zu den künftigen Beziehungen getroffen werden.
Die britische Regierung billigte fast zeitgleich ihre Verhandlungsleitlinien. „Hauptziel“ Londons sei es, zum 1. Jänner 2021 seine „wirtschaftliche und politische Unabhängigkeit wiederherzustellen“, sagte ein Sprecher von Premier Boris Johnson. Zum Jahresende werde sich Großbritannien „die Kontrolle über unsere Gesetze und unseren Handel“ zurückholen.
In Hinblick auf die anstehenden Verhandlungen seien für London bestehenden Handelsabkommen der EU mit anderen Staaten Grundlage, sagte der Sprecher weiter. Die britische Regierung wird ihre Verhandlungsleitlinien im Detail am Donnerstag veröffentlichen.
In der EU hatte vor allem Frankreich in den vergangenen Wochen auf härtere Formulierungen bei den Passagen zu fairen Wettbewerbsregeln gedrungen. Anders als vom Europaparlament gefordert verlangt das EU-Mandat aber keine „dynamische Anpassung“ an EU-Standards - also eine dauerhafte Übernahme von EU-Regeln. Diese sind laut dem Mandat nur „ein Referenzpunkt“.
Der britische Unterhändler David Frost hatte vergangene Woche klar gemacht, dass sich London nach Ablauf der Übergangsphase nicht mehr an die EU-Regeln halten wolle. Dies sei „der Kern des ganzen Projekts“ Brexit, sagte er in Brüssel. Premierminister Johnson machte klar, dass sein Land zwar „die höchsten Standards in diesen Bereichen beibehalten will“, meinte damit aber britische, nicht EU-Standards.
Frankreichs Europastaatsministerin Amélie de Montchalin erteilte britischen Hoffnungen auf „reibungslosen Handel“ mit der EU eine Absage. Es müsse Kontrollen geben, um zu überprüfen, „dass die eingegangenen Verpflichtungen auch eingehalten werden“, sagte sie. Bei Verstößen müsse es dann auch „einen Sanktions-, Vergeltungs- und Schutzmechanismus“ geben - etwa über die Einführung von Einfuhrquoten.
Neben einem Handelsabkommen strebt die EU auch Vereinbarungen in vielen weiteren Bereichen an. Dabei geht es etwa um innere und äußere Sicherheit, die Klimapolitik und den Datenschutz. Schon bis Mitte des Jahres soll ein Abkommen über Fischerei geschlossen werden, damit EU-Fischer weiter Zugang zu britischen Gewässern haben.
Der irische Außen- und Handelsminister Simon Coveney forderte Großbritannien auf, die Vereinbarung zum Brexit vollständig umzusetzen. Sie sieht unter anderem vor, dass die Briten künftig Waren kontrollieren, die über Nordirland zum EU-Mitglied Irland geliefert werden. Wenn die dafür nötige Infrastruktur nicht aufgebaut werde, wäre dies ein „beunruhigendes Signal“ und würde die Aussichten auf einen Verhandlungserfolg schmälern, sagte Coveney.
Das 46 Seiten umfassende Verhandlungsmandat der EU betont, ein fairer Wettbewerb müsse von belastbaren Zusagen getragen sein. Das angestrebte Abkommen solle gemeinsame hohe Standards erhalten. Für staatliche Beihilfen, Wettbewerb, staatliche Unternehmen, Arbeits-und Sozialnormen, Umweltstandards, Klimawandel, relevante Steuerfragen und andere Eingriffe auf diesen Gebieten soll es dem Papier zufolge auch weiterhin vergleichbar hohe Vorgaben mit EU-Standards als Referenz geben.