Migrationsexperte: EU-Krise wegen griechischer Camps möglich
Nach Ansicht des österreichischen Migrationsexperten Gerald Knaus ist 2020 ein „entscheidendes Jahr“ in Sachen Migrationspolitik. Die angespannte Lage in den griechischen Flüchtlingslagern könnte „ganz leicht zu der größten Krise der EU“ werden, warnte Knaus am Dienstagabend bei einer Podiumsdiskussion in Wien.
Die derzeitige Situation - aktuell halten sich rund 42.000 Geflüchtete in Einrichtungen auf den Inseln in der Ostägäis auf - sei „komplett unhaltbar“. „Das Asylsystem ist kollabiert, Griechenland kann das nicht alleine schaffen“, sagte der Mit-Initiator des EU-Türkei-Flüchtlingsabkommens von 2016 auf einer Veranstaltung des International Institute for Peace (IIP) und des Vienna Institute for International Dialogue and Cooperation (vidc).
Aus Protest gegen den Bau neuer Lager für Migranten wurden am Mittwoch alle Regional- und Kommunalbehörden sowie die meisten Geschäfte auf den griechischen Inseln Lesbos, Chios und Samos geschlossen. Die Streiks stehen unter dem Motto „Wir wollen unsere Inseln zurück“, wie das Staatsfernsehen (ERT) berichtete. „Die Inseln dürfen nicht mehr Lager verlorener Seelen sein“, hieß es. Zu den Streiks haben die örtlichen Gewerkschaften, Gemeinden sowie der Verband der Staatsbediensteten (ADEDY) aufgerufen.
Am Vortag war es auf Lesbos und Chios zu Zusammenstößen zwischen aufgebrachten Einwohnern und der Polizei gekommen. Die Beamten setzten Pfefferspray, Tränengas und Schlagstöcke ein, um Straßensperren von Einwohnern zu beenden, die versuchten, den Bau der neuen Lager zu verhindern.
Athen soll dafür sorgen, dass die Dutzenden Migranten, die täglich aus der Türkei zu diesen Inseln übersetzen, nach ihrer Registrierung zum Festland gebracht werden, fordern die Insulaner. In und um die Registrierlager auf den Inseln der Ostägäis harren inzwischen knapp 42.000 Menschen aus. Die Camps können aber nur rund 8.000 Menschen aufnehmen.
Die Regierung der bürgerlichen Partei Nea Dimokratia (ND) unter Regierungschef Kyriakos Mitsotakis hat angesichts dieser Zustände das Asylverfahren beschleunigt und will nun neue Registrier- und Abschiebelager öffnen. In mehreren Schritten versucht Griechenland bereits seit Monaten, die Asylsuchenden auf den Inseln auf das Festland zu bringen, täglich setzen jedoch laut UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) durchschnittlich mehr als 100 neue Migranten aus der Türkei nach Griechenland über. „Es ist klar, dass man die Asylanträge nicht alle auf den Inseln bearbeiten kann“, so Knaus.
Der Migrationsforscher sprach sich für weitere EU-Hilfe für Griechenland, aber auch für die Türkei aus. Derzeit leben rund 3,5 Millionen Syrer in der Türkei - rund vier Prozent der Gesamtbevölkerung sind Flüchtlinge. Die Unterstützung für Ankara muss aufrechterhalten werden, denn das Land stehe schon jetzt unter „enormem Druck“, der angesichts der Situation in der syrischen Region Idlib noch zunehmen könnte.
Wenig optimistisch zeigte sich Knaus zur Zukunft der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK). Sollten moderate Politiker in den EU-Ländern keine Ideen „gegen die Salvinis und Orbans in Europa“ - gegen die erstarkenden rechtsgerichteten, oft migrationsfeindlichen Parteien - präsentieren, „wird das das Ende der Flüchtlingskonvention sein“, prophezeite der Gründer des Think Tanks „Europäische Stabilitätsinitiative“ (ESI).