Militärkonflikt zwischen Syrien und Türkei spitzt sich zu
Der militärische Konflikt zwischen der Türkei und der Regierung des syrischen Machthabers Bashar al-Assad hat sich dramatisch zugespitzt. Bei Luftangriffen auf Stellungen der türkischen Armee in der nordwestsyrischen Provinz Idlib wurden nach türkischen Angaben mindestens 29 Soldaten getötet. Als Vergeltung griff die türkische Armee in der Nacht auf Freitag Stellungen der Assad-Truppen an.
Alle bekannten Ziele der syrischen Regierungstruppen in der Region seien von der türkischen Armee aus der Luft sowie vom Boden aus angegriffen worden, teilte Erdogans Kommunikationsdirektor Fahrettin Altun mit. Diese Angriffe würden von der türkischen Armee fortgeführt. „Unsere tapferen Soldaten werden gerächt werden“, erklärte Altun. Er appellierte zugleich an die NATO und die internationale Gemeinschaft, die von den syrischen Regierungstruppen in Idlib begangenen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ zu stoppen.
Die NATO verurteilte den jüngsten Luftangriff in Nordsyrien scharf. „Die Alliierten verurteilen die fortgesetzten rücksichtslosen Luftangriffe des syrischen Regimes und Russlands auf die Provinz Idlib“, sagte Generalsekretär Jens Stoltenberg am Freitag nach einem kurzfristig einberufenen Treffen der NATO-Botschafter auf Wunsch der Türkei. Stoltenberg sagte, das Treffen sei „ein deutliches Zeichen der Solidarität mit der Türkei“.
Der Norweger rief Syrien und Russland dazu auf, ihre Offensive zu beenden, internationales Recht zu achten und die Bemühungen der Vereinten Nationen für eine friedliche Lösung zu unterstützen. „Diese gefährliche Situation muss deeskaliert werden.“
Die EU warnte vor einer internationalen Ausweitung des Kriegs. Es bestehe die Gefahr, dass die Welt in eine „offene internationale militärische Konfrontation“ schlittere, schrieb der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am Freitag auf Twitter. Der Konflikt in Syrien verursache überdies „unerträgliches“ menschliches Leid. Borrell forderte eine rasche Deeskalation.
Nach der Eskalation sprachen der russische Präsident Wladimir Putin und sein türkischer Amtskollege Erdogan telefonisch über die Lage. Beide hätten sich besorgt gezeigt, teilte der Kreml am Freitag mit. Bei dem Gespräch sei es darum gegangen, wie die Vereinbarung für die Deeskalationszone in der Rebellenhochburg umgesetzt werden könne. Dazu sollten die Außen- und die Verteidigungsminister ihre Kontakte verstärken, teilte das russische Außenministerium mit.
Der Kreml teilte mit, dass Putin und Erdogan ein baldiges Treffen auf höchster Ebene vereinbart hätten. Details waren zunächst nicht bekannt. Nach Angaben des russischen Außenministers Sergej Lawrow sollten am Freitag die Verhandlungen von Türken und Russen für einen Ausweg aus der Lage fortgesetzt werden.
Der russische Chefdiplomat verteidigte jedoch das Vorgehen der syrischen Regierungstruppen in der Provinz. Syrien habe jedes Recht, auf seinem Gebiet gegen Rebellen vorzugehen, betonte er. Die Türkei dagegen habe kein Recht, sich dort einzumischen.
Russland schickte unterdessen am Freitag zwei mit Marschflugkörpern bestückte Kriegsschiffe durch den Bosporus in Richtung Mittelmeer. Die russischen Fregatten „Admiral Makarow“ und „Admiral Grigorowitsch“ hatten zuvor den Hafen von Sewastopol auf der Krim-Halbinsel verlassen, wie ein Sprecher der russischen Armee erklärte.
Die beiden Kriegsschiffe seien mit hochgenauen Marschflugkörpern des Typs Kalibr-NK ausgestattet, sagte der Sprecher der russischen Flotte, Alexej Rulew, laut russischen Nachrichtenagenturen. Es handle sich um einen „planmäßigen Transit“. Die Schiffe sollen demnach den Bosporus und anschließend die Dardanellen durchqueren. Zum Ziel der Fregatten äußerte sich der Sprecher nicht. In der Regel durchqueren russische Marineschiffe die türkische Meerenge aber zur Versorgung der russischen Streitkräfte in Syrien.
Der Gouverneur der an Syrien angrenzenden türkischen Region Hatay, Rahmi Dogan, teilte mit, dass es bei den Luftangriffen auf türkische Stellungen in Idlib neben den 29 Toten noch weitere 36 verletzte türkische Soldaten gegeben habe. Sie seien in Hatay ins Krankenhaus gebracht worden. In einer vorherigen Zwischenbilanz hatte der Gouverneur noch von 22 Todesopfern unter den türkischen Verbänden gesprochen.
Mit den jüngsten Todesopfern sind in diesem Monat den türkischen Angaben zufolge bereits mindestens 49 türkische Soldaten in Syrien getötet worden. Die Türkei hat im Rahmen eines im Jahr 2018 geschlossenen Abkommens mit Russland zwölf militärische Beobachtungsposten in der Provinz Idlib. Präsident Erdogan hatte die Regierung in Damaskus wiederholt aufgefordert, ihre Truppen aus dem Umfeld der türkischen Posten abzuziehen. Der türkische Staatschef setzte dafür eine Frist bis Monatsende, also bis diesen Samstag.
In Idlib und benachbarten Provinzen im Nordwesten Syriens geht die syrische Armee seit Dezember mit militärischer Unterstützung Russlands verstärkt gegen islamistische und jihadistische Milizen vor. Assad will die letzte Milizen-Hochburg im Land wieder unter seine Kontrolle bringen. Ein Teil der Rebellengruppen in Idlib wird von der Türkei unterstützt.
Im Zuge der Offensive war es der syrischen Regierungsarmee in den vergangenen Wochen gelungen, mehrere Ortschaften in Idlib unter Kontrolle zu bringen. Von der Türkei unterstützte Milizen eroberten am Donnerstag jedoch die strategisch wichtige Stadt Saraqeb zurück.
Der deutsche Außenminister Heiko Maas warf in einer Sitzung des UNO-Sicherheitsrats in New York Assad und Moskau Kriegsverbrechen in Nordwestsyrien vor. Die Armeen beider Länder bombardierten „zivile Infrastruktur wie Krankenhäuser und Schulen“. Russland und Syrien hätten als Konfliktparteien die Pflicht, die Zivilbevölkerung zu schützen, mahnte Maas: „Willkürliche Angriffe auf die Zivilbevölkerung sind Kriegsverbrechen.“
Seit Anfang Dezember sind nach UNO-Angaben rund 950.000 Menschen aus den umkämpften Gebieten in Nordwestsyrien geflohen, darunter eine halbe Million Kinder. Viele von ihnen leben unter katastrophalen Bedingungen in der Grenzregion zur Türkei. Kaltes Winterwetter verschärft die Lage. Der russische Botschafter bei der UNO, Wassili Nebensja, erklärte jedoch, andere Sicherheitsratsmitglieder versuchten, „die Situation zu dramatisieren“.
UNO-Generalsekretär Antonio Guterres hat sich angesichts der eskalierenden Situation in der umkämpften syrischen Grenzregion Idlib besorgt geäußert und erneut eine umgehende Waffenruhe gefordert.