Ministerin Tanner verteidigt Heerespläne
In einem Hintergrundgespräch von der Ressortführung (ohne Ministerin) bekannt gegebene Pläne für eine tief greifende Umstrukturierung des Bundesheeres empörte am Mittwoch die Opposition. Verfassungswidrigkeit wurde kritisiert, aber auch eine „Nebelgranate“ angesichts des U-Ausschuss-Auftritts des Kanzlers vermutet. Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) relativierte nun die Ressortpläne.
Verkündet worden waren die Reformpläne in einem Hintergrundgespräch. Die Ressortführung teilte dort mit, dass die militärische Landesverteidigung kein Schwerpunkt mehr sei - und das Heer auf Cyberdefence und Katastrophenschutz ausgerichtet werden soll. Die von Übergangsminister Thomas Starlinger geforderten 16 Mrd. Euro erachtet man für „nicht realistisch“, die von ihm gezeichneten Bedrohungsszenarien für übertrieben.
Konventionelle Angriffe und systemischer Terrorismus - wie in Starlingers Bericht beschrieben - sind für die jetzige Ressortführung keine „eintrittswahrscheinliche Bedrohung“ mehr. Sie sieht die großen Herausforderungen für das Heer in Naturkatastrophen, Migration, Pandemien, Cyberdrohungen, einem Blackout oder einzelnen Terrorangriffen.
Deshalb soll die militärische Landesverteidigung auf das Minimum reduziert werden. Schwere Waffen und Personal (durch natürliche Abgänge) werden reduziert, Kasernenschließungen sind nicht ausgeschlossen, Bataillone sollen zwar nicht aufgelöst, aber zu Jägerbrigaden umstrukturiert werden. Außerdem will man - nach dem als Erfolg gefeierten Einsatz in der Coronakrise - die Milizkomponente ausbauen.
Bei der Opposition sorgte dies für einen Aufschrei der Empörung: Tanner plane einen „Kahlschlag“ beim Heer, Sicherheit und Neutralität seien gefährdet, kritisierte die SPÖ. Die FPÖ sah einen „glatten Bruch des Verfassungsgesetzes“ und forderte die Ablöse Tanners. Dass die Pläne just am Tag der Aussage von Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) im Ibiza-U-Ausschuss bekannt wurden, empfand die Opposition als Versuch, von Skandalen in den Reihen der ÖVP abzulenken. Das sei der „verzweifelte Versuch einer Nebelgranate“, befanden NEOS.
Scharf reagierte ein Vorgänger Tanners, Mario Kunasek (FPÖ): Bis zu 3.000 Arbeitsplätze würden gestrichen bzw. nicht nachbesetzt, komplette Großverbände (Brigaden) aufgelöst, das Heeresbudget um mehrere hundert Millionen jährlich gekürzt werden. Damit würde dem Bundesheer „endgültig der Todesstoß versetzt“ und die Neutralität „komplett ausgehöhlt“. Zurückhaltender war der bisher letzte SPÖ-Verteidigungsminister und jetzige burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil: Er verzichtete auf „vorschnelle Schlüsse“ und wartete auf ein detailliertes Konzept Tanners.
Die Ministerin wollte den Vorwurf des Verfassungsbruchs nicht auf sich sitzen lassen. Sie relativierte in einer Aussendung: Die militärische Verteidigung bleibe „im völligen Einklang mit der Bundesverfassung“ Kernaufgabe, versicherte sie. Aber man werde andere Aufgaben daneben in den Mittelpunkt stellen - und sich neben der „klassischen Landesverteidigung auch der zukünftigen Landesverteidigung widmen“. „Das Bundesheer wird stärker als je zuvor“, verwies sie auf eine zehnprozentige Budgetsteigerung.
Die Grünen werden sich die Vorschläge von Verteidigungsministerin Tanner „sehr genau anschauen und mit Blick auf unsere Neutralität prüfen“. Denn die präsentierte Umstrukturierung sei „tiefgreifend“ und würde das Bundesheer maßgeblich verändern, stellte Wehrsprecher David Stögmüller in einer Aussendung fest. Ein modernes Heer müsse natürlich kosteneffizient geführt werden. Aber eine effizientere Verwaltung dürfe nicht auf Kosten der Handlungsfähigkeit passieren, so Stögmüller. Er werde in den nächsten Tagen Gespräche mit der vom Koalitionspartner gestellten Ministerin führen.
Ob ein Umbau des Heeres verfassungswidrig ist, ist nicht einfach zu beantworten. Die militärische Landesverteidigung ist zwar - im Bundes-Verfassungsgesetz abgesichert und auch im Wehrgesetz unterstrichen - erstrangige, aber nicht einzige Aufgabe. Und „feste, kalkulierbare Grenzen“ gebe es hier nicht, also habe die Regierung Spielraum, betonte der Verfassungsrechtler Bernd-Christian Funk gegenüber der APA.
An Grenzen stößt hier die verfassungsrechtliche Kontrolle. Denn die Regierung wird sicherlich nicht die „militärische Landesverteidigung“ aus dem Wehrgesetz streichen. Dies könnte man mit Erfolg beim Verfassungsgerichtshof anfechten. Aber „das läuft auf einer anderen Ebene“, stellte Funk fest. Wenn durch Reduktion (bzw. Umverteilung) der Mittel die militärische Landesverteidigung „schleichend ausgehöhlt“ wird, „laufen die traditionellen Möglichkeiten der verfassungsrechtlichen Kontrolle weitgehend leer“. Möglich wäre da allenfalls ein Misstrauensvotum oder eine Ministeranklage - für die aber eine (ohne Regierungsparteien nicht gegebene) Mehrheit im Nationalrat nötig wäre.
Gleich am Mittwoch gab es ein Gespräch über die Pläne von Verteidigungsministerin Tanner in der Hofburg. Bundespräsident und Oberbefehlshaber Alexander Van der Bellen hatte die Ministerin zur Unterredung gebeten, um sich umfassend berichten zu lassen. Für die Zukunft wurde vereinbart, „einen intensiveren Informationsaustausch zu pflegen“. Über genauere Inhalte oder Ergebnisse des Gesprächs gab es keine Information in der Präsidentschaftskanzlei. Denn die Unterredung war vertraulich.