Corona-Verordnungen laut VfGH teilweise gesetzwidrig

Der Verfassungsgerichtshof hat über die Corona-Ausgangsbeschränkung und die Geschäftsschließungen entschieden: Das Covid-19-Gesetz ist in diesen Punkten verfassungskonform, auch der Entfall der Entschädigungen für geschlossene Geschäfte und Betriebsstätten. Aber die Verordnung zum Ausgangsverbot war ebenso (teils) gesetzeswidrig wie jene mit der teilweisen Geschäftsöffnung ab 14. April.

Diese Verordnungen von Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) sind zwar seit Ende April nicht mehr in Kraft. Aber der VfGH hat ausdrücklich auch festgehalten, dass die Bestimmungen zu den Ausgangsbeschränkungen „nicht mehr anzuwenden sind“ - etwa in laufenden Verwaltungsstrafverfahren.

Konkret geprüft und als gesetzeswidrig befunden wurden jene - zulässigerweise angefochtenen - Teile der Verordnung Anschobers, die das Betreten des öffentlichen Raumes und die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel nur für die vier Gründe Berufsarbeit, Hilfe, dringende Besorgung, Spaziergänge (allein oder mit Haushaltsangehörigen) zulassen. Auch die Verpflichtung, Gründe für das ausnahmsweise Betreten des öffentlichen Raumes bei einer Kontrolle durch die Polizei glaubhaft zu machen, ging laut VfGH über die vom Gesetz vorgegebenen Grenzen hinaus.

Dass mit dem im März beschlossenen Covid-19-Maßnahmengesetz das Epidemiegesetz „ausgehebelt“ wurde und damit der Entschädigungsanspruch für behördlich geschlossene Betriebe entfallen ist, erachtet der Gerichtshof als verfassungskonform. Es verstoße nicht gegen das Grundrecht auf Unversehrtheit des Eigentums oder den Gleichheitsgrundsatz, wie mehrere Unternehmen in ihren Anträgen vorgebracht hatten.

Die Verordnung, mit der nach Ostern - Mitte April - die Öffnung bestimmte Geschäfte wieder zugelassen wurde, hat der VfGH allerdings rückwirkend aufgehoben. Es sei eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung, dass Läden mit weniger als 400 m2 Verkaufsfläche und Bau- und Gartenmärkte generell wieder aufmachen durften, das Betretungsverbot für alle anderen größeren Geschäfte aber bis 30. April weiter galt, gab der VfGH den Unternehmen recht, die sich deshalb an ihn gewandt hatten. Mit diesen in einer zusätzlichen Session in der Vorwoche getroffenen und am Mittwoch veröffentlichten Entscheidungen sind 19 der dem VfGH vorliegenden rund 70 Fälle - die bis zum Beginn der Juni-Session eingelangt waren - erledigt.

Gesundheitsminister Rudolf Anschober stellte angesichts des VfGH-Erkenntnisses eine „bürgerfreundliche Regelung“ für die wegen Verletzung der Ausgangsbeschränkungen verhängten Strafen während des Corona-Lockdowns in Aussicht. Erfreut zeigte er sich in einer Pressekonferenz und einer Aussendung, dass das Covid-19-Maßnahmengesetz bestätigt wurde.

„Froh“ sei er aber auch über die „Klarstellungen“ zu seiner - vom VfGH aufgehobenen - Verordnung. Denn man könne nicht ausschließen, dass man noch einmal in eine Situation kommt, wo solche Maßnahmen nötig sind, sagte Anschober in der Pressekonferenz. Jetzt werde zusammen mit dem Verfassungsdienst analysiert, welche Auswirkungen das Erkenntnis auf abgeschlossene bzw. laufende Strafverfahren hat. Wie die „möglichst bürgerfreundliche Lösung“ zu den Strafen aussehen wird, könne er jetzt noch nicht sagen, betonte Anschober bei der Pressekonferenz.

Mit heftiger Kritik an der Regierung reagierte die Opposition auf die VfGH-Entscheidungen. Für die SPÖ hat der VfGH „den schlampigen Umgang der Regierung mit dem Rechtsstaat“ bestätigt, die FPÖ sieht ein deutliches Zeichen, dass die zuständigen Minister überfordert sind. SPÖ, FPÖ und NEOS fordern eine Generalamnestie.

Für den stellvertretenden SPÖ-Klubchef und Verfassungssprecher Jörg Leichtfried ist die VfGH-Entscheidung „auch das Ergebnis der Inszenierungen und der türkis-grünen Marketing-Maschinerie, die wichtiger war als seriöse Gesetzgebung“. Für Leichtfried ist spätestens jetzt auch klar, dass viele Bürger „zu Unrecht bestraft wurden“. Für zu Unrecht verhängte Strafen und für alle gleich gelagerten Fälle verlangt Leichtfried eine Amnestie. Der stellvertretende SPÖ-Klubchef fordert die Regierung auch auf, für die erst am Dienstag präsentierten Maßnahmen wie die Ausweitung der Maskenpflicht „endlich gesetzes- und verfassungskonforme Verordnungen zu erlassen“.

Für FPÖ-Obmann Norbert Hofer ist das „virologische Quartett“ aus Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) und den Ministern Rudolf Anschober (Grüne) und Karl Nehammer (ÖVP) für den „Verordnungspfusch“ verantwortlich. Die VfGH-Entscheidungen zeigen für ihn, dass die zuständigen Minister mit der Lage überfordert seien. Die VfGH-Urteile könnten die Republik nun teuer zu stehen kommen, warnte Hofer.

Der stellvertretende NEOS-Klubobmann Nikolaus Scherak reagierte ebenfalls empört. „Die Leidtragenden dieser türkis-grünen Schlamperei sind jene Menschen, die hohe Strafen zahlen mussten, ohne jemals etwas falsch gemacht zu haben. Das Mindeste, das die Regierung tun könnte, ist sich bei den Betroffenen entschuldigen und ihnen ihre Strafe erlassen“, meinte Scherak. Er hielt der Regierung vor, „über Monate bewusst gesetzeswidrig gehandelt“ zu haben. Besonders schlimm sei, dass man die Regierung „hunderte Male“ darauf hingewiesen habe.

Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) verteidigte die Coronagesetze. Die Juristen der Regierung hätten „alles nach bestem Wissen und Gewissen umgesetzt, es musste alles in kurzer Zeit geschehen“, sagte er am Mittwoch am Rande einer Pressekonferenz. Das Covid19-Maßnahmengesetz sei außerdem in seinen inhaltlichen Bestimmungen bestätigt worden. Ein Lockdown eine Woche später hätte eine Vervierfachung der Zahlen gebracht, argumentierte der Vizekanzler erneut. Die Frage nach den Bestimmungen, etwa die Verhängung von Strafen durch die Exekutive, werde derzeit untersucht. Die Teilung in Kategorien, etwa bei Geschäften, sei aber weiterhin eine Möglichkeit. „Es ist das Ziel, die bürgerfreundlichsten Lösungen zu finden“, so Kogler.