Weißrussische Oppositionskandidatin nach Litauen ausgereist
Die bei der Präsidentschaftswahl in Weißrussland offiziell unterlegene Oppositionskandidatin Swetlana Tichanowskaja ist nach Litauen ausgereist. Sie habe ihr Heimatland unter der Androhung einer Inhaftierung verlassen müssen und weißrussische Beamte halfen bei ihrer Abreise, sagte der litauische Außenminister Linas Linkevicius am Dienstag auf einer Pressekonferenz.
„Sie stand offensichtlich unter gewissem Druck und hatte kaum eine andere Wahl, als das Land zu verlassen“, sagte Linkevicius. Offensichtlich sei sonst ihre Freiheit in Gefahr gewesen, also habe sie die angebotene Möglichkeit nutzen müssen, sagte Linkevicius. Tichanowskaja erhielt ein einjähriges Visum und eine Unterkunft in Litauen. Auch für ihre Sicherheit werde gesorgt, sagte Linkevicius.
Tichanowskaja hatte am Vortag noch bei einer Pressekonferenz gesagt, dass sie im Land bleiben werde und weiter kämpfen wolle. Ihr Stab hatte sie dann aber telefonisch nicht erreichen können, nachdem sie das Gebäude der Wahlkommission verlassen hatte.
Tichanowskaja hatte ihre Kinder bereits vor einiger Zeit außer Landes bringen lassen. Zudem sitzt ihr Mann Sergej Tichanowski, ein regierungskritischer Blogger, in Haft. Tichanowskaja war an seiner Stelle bei der Wahl angetreten und hatte als einzige Oppositionelle eine Zulassung als Kandidatin erhalten.
Die Oppositionsbewegung „Ein Land zum Leben“ (Strana dlja Schisni) berichtete unterdessen von mehrstündigen Kundgebungen gegen Wahlfälschungen auch am Montagabend. Die Tage von Lukaschenko seien nach den Gewaltexzessen mit Gummigeschoßen und Blendgranaten gegen die Bürger gezählt, hieß es. „Der Sieg über den Tyrann in den nächsten Tagen ist einfach offensichtlich“, teilte die oppositionelle Plattform mit. In sozialen Netzwerken kursierten zudem Fotos von Uniformierten, die sich demonstrativ auf die Seite der Demonstranten stellten. Sie wurden als „Helden“ gefeiert.
Nach Meinung von Beobachtern war die Nacht auf Dienstag aber von noch mehr Gewalt geprägt als jene auf Montag, als es etwa 100 Verletzte und 3.000 Festnahmen gegeben hatte. Nachdem bereits am Sonntag über ein Todesopfer spekuliert worden war, soll am Montagabend laut Behördenangaben ein weiterer Mann an den Folgen einer Explosion gestorben sein. Erstmals wurden auch Molotow-Cocktails in Richtung der Polizei geworfen.
Für Dienstag haben die Gegner Lukaschenkos zu einem landesweiten Streik in den Staatsbetrieben aufgerufen, um den Machtapparat zu brechen. Kommentatoren sprachen zuletzt von der „Geburt der Nation Belarus“, die sich rund 30 Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion erst jetzt so richtig eine Identität gebe - und sich abnabeln wolle vom großen Nachbarn Russland.
Wirtschaftlich ist das Land an der Grenze zum EU-Mitglied Polen von Russland abhängig. Die demokratischen Kräfte in Weißrussland hoffen auf Unterstützung auch von den EU-Nachbarn Litauen und Lettland. Im Nachbarland Ukraine hat Präsident Wolodymyr Selenskyj, der mit seiner Ex-Sowjetrepublik in die EU strebt, zu einem Gewaltverzicht aufgerufen. Westliche Beobachter stuften die Abstimmung - wie alle anderen Wahlen seit 1995 in dem Land - als weder frei noch fair ein.