Lukaschenko geht auf Opposition zu - Neuwahl abgelehnt

Der weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko ist nach den tagelangen Protesten gegen seinen Amtsverbleib nach eigenen Worten zur Teilung der Macht bereit. Zugleich lehnt er einer Neuwahl aber weiter ab. Die Oppositionskandidatin Swetlana Tichanowskaja erklärte unterdessen aus dem Exil ihre Bereitschaft, die Führung des Landes zu übernehmen. Die EU berief für Mittwoch einen Video-Gipfel ein.

Mit einem Aufruf zum Generalstreik und einem Marsch auf das Staatsfernsehen erhöhte die Opposition am Montag den Druck auf den Staatschef rund eine Woche nach der umstrittenen Präsidentschaftswahl. Dem Aufruf der Opposition folgend versammelten sich tausende Demonstranten vor mehreren Fabriken sowie dem Sitz des staatlichen Fernsehens in Minsk zu einem Generalstreik. Nach Angaben des Minsker Traktorenwerks (MTZ) legten mehrere tausend Mitarbeiter ihre Arbeit nieder.

Vor dem Minsker Radschlepperwerk (MZKT), wo Präsident Lukaschenko am Montag zu einem Besuch eintraf, schwangen Demonstranten die rot-weiße Fahne der Opposition. Als der Staatschef versuchte, dort eine Rede zu halten, schrien ihn Arbeiter nieder. „Belarus hat Wahlen abgehalten, und es wird keine weiteren geben“, verkündete Lukaschenko daraufhin und lehnte einen Rücktritt erneut ab.

Die amtliche Nachrichtenagentur Belta zitierte ihn am Montag mit den Worten, er stimme einer Änderung der Verfassung zu, allerdings nicht auf Basis von Protesten auf der Straße. Nach Darstellung der Behörden sind fast alle inhaftierten Demonstranten wieder freigelassen worden. Von den rund 7.000 Festgenommenen aus der vergangenen Woche seien „praktisch“ alle wieder frei, teilte die Generalstaatsanwaltschaft in Minsk der Staatsagentur am Montag mit.

Die nach Litauen geflohene Oppositionspolitikerin und Präsidentschaftskandidatin Tichanowskaja erklärte am Montag per Videobotschaft ihre Bereitschaft, die Führung des Landes zu übernehmen. Sie sei bereit, Verantwortung zu übernehmen und übergangsweise „als nationale Anführerin zu handeln“. Die weißrussischen Sicherheitskräfte fordert sie auf, die Seiten zu wechseln. Dann werde ihnen auch das harte Vorgehen gegen die Demonstranten verziehen. Tichanowskaja war nach der Wahl laut ihrem Team nach Drohungen der Behörden nach Litauen ausgereist. Ihr Mann ist als Oppositioneller seit längerem in Weißrussland in Haft.

Erst am Sonntag war es zu einer der größten Demonstrationen der Opposition in der Geschichte von Belarus gekommen: Mehr als 100.000 Menschen versammelten sich in Minsk zu einem „Marsch der Freiheit“ und forderten den Rücktritt Lukaschenkos.

Bei der Präsidentschaftswahl vor gut einer Woche war der seit 26 Jahren autoritär regierende Lukaschenko nach offiziellen Angaben mit rund 80 Prozent der Stimmen wiedergewählt worden. Die Opposition spricht von massivem Wahlbetrug, auch in der EU bestehen erhebliche Zweifel an dem Ergebnis.

Die EU rief wegen Weißrussland einen Video-Gipfel für Mittwoch ein. Die Menschen in Weißrussland hätten das Recht, „ihren Anführer frei zu wählen“, schrieb EU-Ratspräsident Charles Michel auf Twitter. Gewalt gegen Demonstranten sei „nicht hinnehmbar“. Die EU-Außenminister hatten am Freitag neue Sanktionen gegen die weißrussische Führung auf den Weg gebracht.

Großbritannien erklärte, das amtliche Ergebnis der Wahl vom 9. August nicht anzuerkennen. Außenminister Dominic Raab forderte eine unabhängige Untersuchung der Wahl durch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Auch fünf Fraktionen des EU-Parlaments forderten am Montag Neuwahlen unter internationaler Beobachtung. Die Wahlen vom 9. August seien „weder frei noch fair“ gewesen, erklärten die Fraktionsvorsitzenden der Konservativen, Sozialdemokraten, Liberalen, Grünen und der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR).

Lukaschenko sprach am Montag vor streikenden Arbeitern. Die Arbeit an einer Verfassungsreform habe bereits begonnen, sagte er laut Agentur Belta. Damit könne die Macht neu aufgeteilt werden. Neuwahlen werde es aber nur über seine Leiche geben. Die Auswirkungen des anhaltenden Streiks zahlreicher Arbeiter spielte Lukaschenko herunter. „Die, die arbeiten wollen, sollen arbeiten, wenn sie nicht arbeiten wollen, nun, dann werden wir sie nicht dazu zwingen“, wurde er zitiert. Die Medienplattform Tut.By berichtete, dass auch Arbeiter von Weißrusslandkali, einer der weltweit größten Hersteller von Kaliumkarbonat, mit dem Ausstand drohten. Der Staatskonzern ist einer der größten Beschaffer von Devisen für das abgeschottete Land.

Das benachbarte Polen verfolgt unterdessen die Situation an seiner Grenze zu Weißrussland. „Wir beobachten, was in Weißrussland geschieht - genau wie alle NATO-Länder, und wir werden uns auch ansehen, was an unseren Grenzen geschieht“, sagte der stellvertretende Verteidigungsminister Wojciech Skurkiewicz im Rundfunk. „Wir werden bei dieser Beobachtung nicht passiv sein.“ Die weißrussische Armee plant, vom 17. bis 20. August in der Nähe eines Atomkraftwerks und in der an Polen und Litauen angrenzenden Region Grodno Übungen abzuhalten, wie die Nachrichtenagentur RIA am Sonntag unter Berufung auf das Verteidigungsministerium berichtet. Lukaschenko hatte zuvor gesagt, dass Luftstreitkräfte an die weißrussische Westgrenze verlegt würden.

Russlands Präsident Wladimir Putin hatte Lukaschenko am Sonntag militärische Hilfe zugesagt und sprach von einer Einmischung aus dem Ausland in die Belange des Landes. Der litauische Außenminister Linas Linkevicius warnte Russland am Montag vor einem solchen Vorgehen. Dies wäre gleichbedeutend mit einer „Invasion“, sagte er vor Journalisten in Vilnius.

Solidarisch mit den Demonstranten zeigte sich am Wochenende sogar ein weißrussischer Diplomat. Der Botschafter in Bratislava, Igor Leschtschenja, erklärte am Wochenende in einer Videobotschaft laut der slowakischen Nachrichtenagentur TASR: „Ich bin solidarisch mit denen, die im Rahmen friedlicher Demonstrationen auf die Straßen der Städte von Weißrussland gegangen sind, damit ihre Stimme gehört wird.“ Auch er sei schockiert von brutalen Folterungen und vom Einprügeln der Polizei auf eigene Bürger, sagte der Diplomat.