„Haus der Geschichte“: Ein Provisorium mit Sorgen um die Zukunft
Das „Haus der Geschichte“ hat seine Ausstellung aktualisiert und zum Teil neu geordnet. Direktorin Sommer hofft auf Entscheidungen der Politik.
Von Wolfgang Sablatnig
Wien – Das Objekt der Begierde vieler Besucher ist unscheinbar, es ist gestanzt und damit unbrauchbar – doch es lebt von dem, was einst darauf gespeichert war: Die Journalisten Frederik Obermaier und Bastian Obermayer haben dem „Haus der Geschichte Österreich“ in Wien jenen USB-Stick überlassen, auf dem sie im Vorjahr das berüchtigte Ibiza-Video bekommen haben.
Ganz am Ende der Ausstellung, hinten rechts, ist der Datenträger jetzt neben dem Song-Contest-Kleid von Conchita Wurst zu sehen. Nicht weit davon hat es auch der Babyelefant schon ins Museum der österreichischen Zeitgeschichte geschafft, mitsamt der Stopp-Corona-App, die nicht immer von Glück verfolgt war. An den Wänden haben die Kuratoren Schilder von Demonstrationen aus der jüngsten Zeit platziert, Stichworte „Black Lives Matter“ und „Fridays For Future“. Ein Puch-Moped lädt zu Sentimentalität ein.
Das Sammelsurium folgt dem Anspruch von Museums-Chefin Monika Sommer, neben der klassischen Zeitgeschichte auch gesellschaftliche Entwicklungen und das aktuelle Zeitgeschehen zu dokumentieren. Die Corona-Zwangspause hat die Direktorin mit ihrem Team genutzt, die Schau und ihre Stücke auf den jüngsten Stand zu bringen und neu zu ordnen.
Das Grundproblem des Museums bleibt aber bestehen. „Wir arbeiten mit 13 Vollzeitäquivalenten, von der Direktorin bis zur Kassa“, schildert Sommer die personelle Lage. Organisatorisch ist die Einrichtung an die Nationalbibliothek angehängt.
Nicht besser ist es um die räumliche Situation bestellt. Geblieben sind vier Ausstellungsräume in der Neuen Burg am Wiener Heldenplatz, in denen die mehr als 100 Jahre seit Beginn der Republik Platz finden sollen. Den Rückgriff auf das Revolutionsjahr 1848, der im ursprünglichen Auftrag für das Museum enthalten ist, hat sie bereits entsorgt.
In der Neuaufstellung versuchen Sommer und ihr Team, der Fülle des Materials mit einer thematischen Gliederung Herr zu werden. Neu ist auch der Titel der Schau, die zum Republiksjubiläum im Herbst 2018 erstmals eröffnet wurde. Nicht mehr der „Aufbruch ins Ungewisse“ gibt den Ton an. Jetzt heißt es „Neue Zeiten: Österreich seit 1918“.
Gleich am Eingang bekommt die Bundesverfassung mehr Platz: Sie wird im Herbst 100 Jahre alt und hat dank der Ibiza-Affäre unverhoffte Popularität erlangt. Ein Video zeigt Bundespräsident Alexander Van der Bellen, wie er die „Eleganz“ des Rechtstextes lobt.
Für Sommer und ihre Mitarbeiter bleibt freilich viel im Ungewissen. Die Eröffnungsschau sollte bis Mai 2020 laufen. Mangels eines politischen Auftrags für eine neue Ausstellung wurde bis Ende 2021 verlängert – mit großem Aufwand, wie die Direktorin erzählt. Leihgabe für Leihgabe musste sie die Verträge neu aufsetzen und verlängern.
Und schon wieder drängt die Zeit: „Ende 2021 klingt so, als ob wir viel Zeit hätten. Eine derartige Ausstellung hat aber eine Vorlaufzeit von zwei Jahren.“
Doch nicht nur der Schwerpunkt einer künftigen Ausstellung ist ungewiss. Sie hätte viele Ideen, meint Sommer. Die Umweltgeschichte etwa. Oder eine umfassende Aufarbeitung der Wirtschaftsgeschichte.
Zuvor muss es aber um Grundsatzentscheidungen gehen: Bleibt das „Haus der Geschichte“ auf die Räume in der Hofburg beschränkt? Gibt es später einmal einen Neubau? Wo?
Das „Haus der Geschichte“ ist dabei immer von der Politik abhängig. Ein gemeinsames Konzept haben Türkis und Grün nicht. Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) verfolgt die Idee, Gedenkstätten und zeitgeschichtliche Institutionen unter dem Dach des Parlaments organisatorisch zusammenzuführen. Die grüne Kulturpolitikerin Eva Blimlinger hält davon aber wenig und denkt an eine Zusammenführung mit dem Heeresgeschichtlichen Museum, das derzeit ans Verteidigungsministerium angeschlossen ist. Gemeinsam ist Sobotka und Blimlinger die Unzufriedenheit mit der aktuellen Situation und der Ausstellung.
Das Museum versucht unterdessen, den Platzmangel zumindest teilweise im Internet wettzumachen. Die Präsenz im Web (www.hdgoe.at) bietet weiterführende Informationen. Sie lädt Nutzerinnen und Nutzer aber auch ein, Bilder, Videos und Filme hochzuladen. Häuslbauen oder Energieferien: Die Themen orientieren sich an der gesellschaftlichen Entwicklung des Landes.
Sommer und ihr Team arbeiten zudem daran, eine handfeste Sammlung aufzubauen. Neu ist etwa eine Wäschemangel aus Marienthal östlich von Wien. Die Studie „Die Arbeitslosen von Marienthal“ ist ein Klassiker der Soziologe aus den 1930er-Jahren und gilt nach wie vor als richtungsweisend.
Hellhörig werden sie auch bei aktuellen Ereignissen, siehe Babyelefant, siehe USB-Stick. Auch Corona-Masken gibt es schon – in Rot-Weiß-Rot und im Trachtenlook.