25 Jahre Gedenkarbeit

Hannah Lessing: Einmal nach Mauthausen ist nicht genug

Denkmal im ehemaligen Konzentrationslager Mauthausen: Erinnerungsarbeit braucht Nachhaltigkeit.
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Hannah Lessing, Generalsekretärin des Nationalfonds für Opfer des Nazi-Terrors, über ihre Lehren aus 25 Jahren Gedenkarbeit.

Von Wolfgang Sablatnig

Wien – Was wäre, wenn ein Mädchen im Holocaust Instagram gehabt hätte? Der Ansatz irritiert. Der israelische Geschäftsmann und Regisseur Matti Kochavi hat sich dennoch an einer Antwort versucht und auf dem Instagram-Account „Eva.Stories“ eine Serie veröffentlicht. Aktuell hält das Projekt aus dem Frühjahr 2019 bei 1,3 Millionen Followern.

Zuletzt sorgte auf Tiktok eine „Holocaust-Challenge“ für Aufsehen. Jugendliche gaben sich als Opfer des Judenmordes der Nazis aus und verbreiteten dies als Video. Die Gedenkstätte Yad Vashem protestierte und sprach von Verharmlosung.

„Ist das gescheit“, fragt sich auch Hannah Lessing, Generalsekretärin des Nationalfonds der Republik für Opfer des Nationalsozialismus. Sie will diese Ansätze aber nicht nur verurteilen: „Die Jugendlichen haben sich zumindest damit auseinandergesetzt.“

Mit dem Nationalfonds begann vor 25 Jahren die institutionalisierte Gedenkarbeit der Repu­blik. 1986 hatte der Präsidentschaftswahlkampf von Kurt Waldheim das Land in eine reinigende Diskussion geführt, 1988 gedachte die Republik des Anschlusses an Hitler-Deutschland, 1991 gestand Kanzler Franz Vranitzky die Mitverantwortung von Österreichern an den NS-Verbrechen ein. 1995 schließlich folgte der Nationalfonds mit einer „Geste“ von 70.000 Schilling – 5000 Euro – für die Opfer.

Die Aufgaben wuchsen

Vorsitzender ist der jeweilige Nationalratspräsident. Generalsekretärin ist seit 1995 Lessing. Die Aufgaben wuchsen: 2001 folgte nach dem Washingtoner Abkommen mit den USA der Entschädigungsfonds, mit dem 25.000 Personen – Überlebende und Erben – Vermögensverluste zum Teil abgegolten bekamen. Eine Schiedsinstanz entschied über die Rückgabe von Immobilien aus dem Besitz der öffentlichen Hand an die früheren Eigentümer bzw. deren Nachfahren. Eine Pauschalzahlung sollte für den Verlust von Mietwohnungen entschädigen.

„Die Begegnungen mit diesen tollen Menschen haben mein Leben unendlich bereichert.“ – Hannah Lessing (Generalsekretärin des 
Nationalfonds)
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Als Generalsekretärin ist Lessing außerdem zuständig für den Friedhofsfonds und damit für die Sanierung jüdischer Friedhöfe quer durch Österreich. Sie verantwortet die Neugestaltung der Österreich-Ausstellung in der polnischen Gedenkstätte Auschwitz, die sie im Frühjahr 2021 endlich abschließen will – das aufwändige Projekt begleitet Lessing seit zehn Jahren.

Dazu kommen Projekte, um die Erinnerung an die Opfer zu wahren und den Holocaust zu erforschen. Aktuell wird am Rand der Wiener Innenstadt eine Gedenkstätte mit den Namen aller 64.000 im Holocaust ermordeten österreichischen Juden errichtet.

Die zahlenmäßige Bilanz der 25 Jahre: Mehr als 40.000 Personen haben beim Nationalfonds oder einem der später geschaffenen Töpfe einen Antrag gestellt. Mehr als 550 Millionen Euro wurden als Entschädigung und Geste an die Opfer ausgezahlt, Liegenschaften im Wert von 48 Millionen Euro rückerstattet.

In der persönlichen Bilanz bleiben für die Leiterin des Fonds vor allem zahlreiche Begegnungen mit „so tollen“ Menschen: „Sie haben mein Leben unendlich bereichert. Ich bin dankbar, dass ich mit ihnen arbeiten darf.“

Politische Bilanz

Und die politische Bilanz? Lessing: „1995 hat sich die Gesellschaft noch hinter der These von Österreich als erstem Opfer des Nationalsozialismus versteckt, der Antisemitismus war latent immer da. 2020 ist die Opferthese nur mehr in bestimmten Kreisen Thema. Aber Fremdenhass, Xenophobie und Antisemitismus schwappen noch immer hervor. Ich muss daher auch meine Arbeit hinterfragen: Was haben wir falsch gemacht?“

Beginnen muss die Vermittlung bei Kindern und Jugendlichen, ist Lessing überzeugt. Einmal im Leben mit der Schule zur KZ-Gedenkstätte Mauthausen in Oberösterreich zu fahren, sei wichtig und notwendig. Genug ist es nicht: „Nachhaltig ist es nur, wenn man sich immer wieder damit beschäftigt. Die Achtsamkeit muss Teil einer Lebenseinstellung werden. Wir müssen früh beginnen.“ Nötig seien dabei neue Wege – auch mit Apps und sozialen Medien.

Der Nationalfonds hat aktuell 38 Mitarbeiter. Neben ihrer Arbeit an den Projekten des Fonds halten sie Kontakt zu den Antragstellern, von denen weltweit noch geschätzt 18.000 am Leben sind. Sie unterstützen auch Nachfahren von Nazi-Opfern, die einen österreichischen Pass erwerben wollen – das Staatsbürgerschaftsgesetz gewährt diesen Personen erleichterten Zugang dazu.

Schließlich betreuen und digitalisieren sie das Archiv mit den Daten der insgesamt mehr als 40.000 Antragsteller. „Wir sprechen lieber von Registratur. Wir arbeiten ja noch mit diesen Unterlagen“, sagt Lessing. Wichtig ist ihr dabei, dass die Akten nach Namen geordnet sind: „Es gibt keine Aktenzahlen. Eine Nummer haben diese Menschen früher schon einmal bekommen, im KZ nämlich.“

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