EU ringt um Sanktionen gegen Weißrussland
Die EU-Staats- und Regierungschefs erhöhen im Streit über weitere Sanktionen gegen Weißrussland (Belarus) den Druck auf Zypern. Kurz vor Beginn des Gipfels in Brüssel sagte Litauens Präsident Gitanas Nauseda am Donnerstag: „Wir erwarten, dass das der Wendepunkt für Sanktionen gegen belarussische Offizielle wird.“ Bisher blockiert Zypern den erforderlichen einstimmigen Beschluss.
Die Regierung in Nikosia fordert zeitgleiche EU-Sanktionen gegen die Türkei wegen des Gasstreits im östlichen Mittelmeer. Die anderen Mitgliedstaaten sind aber nicht bereit, beide Vorgänge miteinander zu verknüpfen. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hatte zuletzt im EU-Hauptausschuss des Nationalrats gemeint, er werde sich für Sanktionen gegenüber der Türkei einsetzen. Kurz trifft vor dem Gipfel mit EU-Ratspräsident Charles Michel, dem Außenbeauftragten Josep Borrell und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zusammen.
Im Entwurf für die Abschlusserklärung des bis Freitag gehenden Gipfels heißt es zu Weißrussland, die EU-Staaten verurteilten die inakzeptable Gewalt gegen friedliche Demonstranten. Zugleich wird die Präsidentenwahl am 9. August nicht anerkannt. Amtsinhaber Alexander Lukaschenko hatte den Wahlsieg für sich beansprucht, die Opposition spricht von Wahlbetrug. Seitdem kommt es immer wieder zu Massenprotesten, die Sicherheitskräfte gehen teils brutal gegen die Demonstranten vor. Tausende Menschen wurden festgenommen. Im EU-Entwurf heißt es unter Bezug auf Sanktionen weiter, dass „restriktive Maßnahmen“ ohne Verzögerung verhängt werden sollten. Es gebe große politische Bemühungen „auf höchster Ebene“, um die Blockade zu lösen, sagte ein ranghoher EU-Diplomat.
Unter Druck gerät die EU diesbezüglich auch, weil Großbritannien und Kanada unlängst Sanktionen gegen Belarus verhängt haben. Allerdings wollen sich die USA dem nach Angaben aus diplomatischen Kreisen nicht anschließen. Die Regierung in Washington hoffe auf einen mit der EU koordinierten Schritt, sagten vier Insider. „Wir arbeiten eng mit unseren europäischen Partnern zusammen, um diejenigen zur Rechenschaft zu ziehen, die an Menschenrechtsverletzungen und Repressionen in Belarus beteiligt sind“, sagte ein Vertreter des Außenministeriums.
Zypern dringt allerdings darauf, dass die EU zunächst Sanktionen gegen die Türkei verhängt. Dabei geht es um Gasvorkommen im östlichen Mittelmeer, auf die einerseits die Regierung in Ankara und andererseits die EU-Mitglieder Griechenland und Zypern Ansprüche erheben. Die Türkei unternimmt bereits Bohrungen in dem Gebiet, weshalb die EU jetzt Sanktionen erwägt. „Die Idee ist, der Türkei mit Gegenmaßnahmen zu drohen, wenn sie mit den Bohrungen und anderen Provokationen in zypriotischen und griechischen Gewässern weitermacht“, sagte ein EU-Diplomat. „Hintergrund ist, dass man Zypern damit Garantien gibt und Nikosia davon überzeugt, das Veto gegen die Sanktionen gegen Belarus aufzuheben.“
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron forderte unterdessen den russischen Staatschef Wladimir Putin dazu auf, mit der belarussischen Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja zu sprechen. Macron hatte Tichanowskaja als erster Staatschef eines westlichen Landes in deren Exil in Litauen getroffen. Tichanowskaja sei „offen für einen Dialog mit Russland und ermutigt Präsident Putin, das in Erwägung zu ziehen“, erklärte das Präsidialamt in Paris. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte am Mittwoch gesagt, sie werde Tichanowskaja bald treffen.
Thomas Waitz, EU-Abgeordneter der Grünen und Ko-Vorsitzender der Europäischen Grünen Partei, forderte: „Harte Sanktionen gegen Weißrusslands Diktator Alexander Lukaschenko sind überfällig angesichts dessen Gewalt gegen die zivile Bevölkerung. Gleichzeitig braucht es an EU-Vermittlung zwischen Zypern, Griechenland und der Türkei.“
FPÖ-Delegationsleiter Harald Vilimsky forderte, die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei, ein für alle Mal zu beenden. „Das Erdogan-Regime hat in den vergangenen Jahren eine Vielzahl von Gründen geliefert, einen solchen Schritt zu setzen. Es ist völlig unverständlich, warum die EU nach wie vor an der Beitrittsfantasie für die Türkei hängt“, sagte Vilimsky.