„Quarantäne“ in den Kammerspielen: Die Show muss weitergehen
Wenn in den Kammerspielen die Revue „Quarantäne“ gegeben wird, darf die Realität für 90 Minuten draußen bleiben.
Innsbruck –In den ebenso erfolg- wie folgenreichen „Star Wars“-Filmen geht es um Schauwerte. Aber weil zu viel Spaß an der Freud’ misstrauisch machen könnte, gibt es vor jedem Film den so genannten „Crawl“: einen in der Tiefe des Weltraums verschwindenden Lauftext über die Hintergründe, die das Spektakel legitimieren sollen.
Das hat sich Mareike Zimmermann für das von ihr konzipierte und inszenierte Stück „Quarantäne. Die Revue“ abgeschaut. In den Kammerspielen des Tiroler Landestheaters liest man aber nichts vom Sternenkrieg, sondern wird an Rezentes erinnert. An den Shutdown des Landes. Tags davor haben sechs Ensemblemitglieder des Hauses und Kapellmeister Hansjörg Sofka noch gemeinsam gebechert. Jetzt sitzen sie im Theater fest, das wie das Land drumherum im Sinne des Seuchenschutzes heruntergefahren wurde.
42 Tage wird die Ausgangssperre dauern. Die Revue selbst setzt an Tag 39 ein. Das Ende ist in Sicht, die Routinen haben sich zu Verhaltensauffälligkeiten und – im Fall von Phillip Henry Brehl – zu kulinarischer wie modischer Verwahrlosung ausgewachsen. Geredet wird wenig. Zustände – Verzweiflung und Langeweile genauso wie Hoffnung und Übermut – entladen sich in musikalischen Einlagen. Schlager („Für mich soll’s rote Rosen regnen“) eröffnen Seelenlandschaften, die Spice Girls machen Stimmung, Rossini hofft auf Lacher und ausgerechnet Astronauten-Pop holt anrührend auf den Boden der Tatsachen zurück. Zumindest wenn Stefan Riedl David Bowies „Space Oddity“ als Einsamkeitsuntersuchung in Zoom-Call-Zeiten ausdeutet.
Jedes Lied wird zur Befindlichkeitsminiatur: Sarah Nunius hadert trotz Applaus-App herzzerreißend mit der eigenen Strahlkraft („Ich bin nur gut, wenn keiner guckt“), Janine Wegener macht sich mächtig Mut („Davon geht die Welt nicht unter“) und verbittet sich, dass auf „ihrer“ Bühne gepfiffen wird. Petra Alexandra Pippan hat als in Virusprävention unbedarfter Eindringling einen atemberaubenden ersten Auftritt und dichtet „Don’t stop me now“ zum „Please touch me now“ um. Die anderen nehmen akrobatisch Reißaus. Nur die Ukulele, die sie im Gepäck hat, bleibt ein uneingelöstes Versprechen.
„Quarantäne“ wechselt luftig leicht die Register, ist manchmal hochemotional und meistens offensiv auf Pointe getrimmt. In den besten Momenten – wenn Topfpflanzen und Käsebrote besungen werden, wenn „Schwangere Frauen im Baumarkt“ zur Erbauung beitragen sollen oder Phillip Henry Brehl „Rise like a Phoenix“ veredelt – ist „Quarantäne“ beides zugleich. Und bleibt doch Stückwerk. Einen wirklichen roten Faden durch die starken Einlagen gibt es nicht. Darin ist das Stück strukturarmen Tagen in der Selbstisolation wohl durchaus vergleichbar. Dafür werden die Kostüme (Katharina Ganner) im Laufe des bunten Abends bunter und die Choreografien (Kathrin Eder) gewagter. „Jetzt tanzen alle Puppen“ stimmt das durchwegs stimmstarke Ensemble beherzt an. Und „There’s No Business Like Showbusiness“. Ein Bekenntnis. Gerade in Zeiten, in denen mit Show kaum Business zu machen ist, weil viele Stühle frei bleiben müssen. Weitergehen muss die Show ja trotzdem. Und das Business auch: „I will survive.“
Wirkliche Auf- oder Bearbeitung der vergangenen Monate freilich bietet „Quarantäne“ nicht an. Politischem, Problematischem oder gar Polemischem ist kein Part zugedacht. Auch Psychologisches bleibt bloßer Vorwand für die nächste Nummer. Die Realität muss für 90 kurzweilige Minuten draußen bleiben. Auch das hat man im und seit dem so genannten Lockdown schmerzlich vermisst. (jole)