Berg-Karabach: Hauptstadt Stepanakert bombardiert

Trotz des Aufrufs Russlands, Frankreichs und der USA zu einem Ende der Waffengewalt gehen die Kämpfe in der Konfliktregion Berg-Karabach mit unverminderter Härte weiter. Viele Bewohner wurden bei einem Raketenangriff in der Hauptstadt Stepanakert verletzt und zahlreiche Häuser zerstört, wie Arzrun Owanissjan vom armenischen Verteidigungsministerium am Freitag in Eriwan mitteilte. Im Zentrum von Stepanakert habe es Schüsse und Explosionen gegeben, hieß es.

Die aserbaidschanische Armee sprach wiederum von schwerem Artilleriefeuer auf Dörfer und Städte auf seinem Staatsgebiet. Die Gefechte der verfeindeten Nachbarländer dauern seit fast einer Woche an.

Russland, Frankreich und die USA vermitteln mit der sogenannten Minsk-Gruppe der Organisation für Zusammenarbeit und Entwicklung in Europa (OSZE) in dem jahrzehntealten Konflikt zwischen den beiden Ex-Sowjetrepubliken. Sie forderten Baku und Eriwan auf, an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Keiner der Gegner solle dafür Vorbedingungen stellen. Darauf wollen sich die Länder jedoch nicht einlassen.

Seit Sonntag liefern sich die beiden verfeindeten Staaten schwere Gefechte entlang der Demarkationslinie. Diese gehen weit über die Scharmützel hinaus, die es zuletzt immer wieder in der Region gab. Bei den Kämpfen im Südkaukasus sind nach armenischen Angaben in Berg-Karabach deutlich mehr als 200 Menschen getötet worden. Es gab jedoch abweichende Informationen. Aserbaidschan zählte zuletzt nach eigenen Angaben 19 tote Zivilisten und 55 Verletzte.

Das armenische Außenministerium betonte, dass es den Vorschlag der Vermittler begrüße und auch grundsätzlich zu Gesprächen bereit sei. Verhandlungen mit der OSZE-Gruppe für eine Waffenruhe könne es nur geben, wenn sich die Türkei aus dem Konflikt heraushalte, sagte der armenische Regierungschef Nikol Paschinian. Terroristen würden „unter Ägide der Türkei“ auf aserbaidschanischer Seite kämpfen.

Auch Russland und Frankreich hatten zuvor mitgeteilt, dass bei den Gefechten tausende ausländische Söldner und Kämpfer dschihadistischer Gruppen aus den Kriegsgebieten in Syrien und Libyen aktiv seien. Die Türkei hat sich in dem Konflikt auf die Seite Aserbaidschans gestellt.

Das Außenamt in Baku kommentierte den Vorstoß der OSZE-Gruppe zunächst nicht, gab aber die Schuld an der Eskalation Armenien. Aserbaidschan müsse auf die Angriffe reagieren und werde seine Militäroperation fortsetzen, hieß es.

Das internationale Komitee des Roten Kreuzes äußerte sich besorgt über die Kämpfe. Auf beiden Seiten der Kontaktlinie und in Armenien seien zivile Todesfälle und Verletzungen, einschließlich von Kindern, gemeldet worden. Es gebe Berichte über Familien, die sich in unbeheizten Kellern in Sicherheit bringen. Hunderte Häuser und zivile Infrastrukturen wie Schulen und Krankenhäuser seien durch schwere Artillerie zerstört worden. Das IKRK zeigte sich in einer Aussendung vom Freitag zudem äußerst besorgt darüber, dass die gegenwärtigen Turbulenzen und Vertreibungen zu einer Zunahme von Covid-19-Fällen führen könnten, weil Menschen stundenlang in Notunterkünften Zuflucht suchen oder in Gemeinschaftsgebäuden mit unzureichender sanitärer Versorgung untergebracht seien.

Der Konflikt prägt die Beziehungen der beiden Ex-Sowjetrepubliken bereits seit Jahrzehnten. Berg-Karabach, wo rund 145.000 Menschen leben, wird zwar von Armenien kontrolliert, gehört aber völkerrechtlich zum islamisch geprägten Aserbaidschan. In einem Krieg nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion vor rund 30 Jahren verlor Aserbaidschan die Kontrolle über das Gebiet. Es wird heute von christlichen Karabach-Armeniern bewohnt. Seit 1994 gilt eigentlich eine Waffenruhe.

Die EU-Kommission kündigte unterdessen die Bereitstellung von humanitärer Nothilfe für die Zivilbevölkerung in Berg-Karabach an. Dabei geht es um Lebensmittel, medizinische Ausrüstung und weitere Hilfsgüter für mehrere Tausend Menschen. Zunächst sollen Güter im Wert von einer halben Million Euro beschafft werden, das Geld dafür geht an Hilfsorganisationen.