Kritik an Interpretationsspielraum bei Lockdown-Verordnung

„Bemüht, aber noch nicht perfekt“ ist die zweite Lockdown-Verordnung aus der Sicht des Rechtsanwälte-Präsidenten Rupert Wolff. Die Regierung zeige diesmal einen sorgsameren Zugang bei der Einschränkung der Grund- und Freiheitsrechte als im März und sie habe sich sichtlich um mehr Sorgfalt bei den Regelungen bemüht. Aber im wichtigen Bereich der Ausgangssperren sei der Auslegungsspielraum bei manchen Ausnahmen „extrem groß“. Scharfe Kritik übte der Rechtsanwalt Florian Horn.

Vieles sei „sehr schwammig“ und nicht ausreichend erklärt, so Wolff. Die Bürger wüssten im Berich der Ausgangssperren nicht, was sie tun dürfen und was nicht - und die Exekutive werde es „sehr schwer“ haben, diese Regelungen umzusetzen. So stelle sich schon die Frage, wie man einem Polizisten, wenn er einen um 23 Uhr aufhält - wie gefordert - „glaubhaft machen“ kann, dass man soeben die Großmutter besucht hat. „Da ist vorprogrammiert, dass es viele Problemfälle geben wird“, die dann erst wieder von den Gerichten geklärt werden müssten, meinte Wolff.

Zudem blieben die in der Verordnung aufgezählten Ausnahmen vom prinzipiell zwischen 20 und 6 Uhr geltenden Ausgangsverbot teilweise viel zu unklar. So werde nicht erläutert, was die „Ausübung familiärer Rechte und Erfüllung familiärer Pflichten“ umfasst: Ob man da nach 20 Uhr auch die Erbtante oder die Urenkel besuchen darf - oder ob das auch für ein gleichgeschlechtliches Paar mit adoptiertem Kind gilt.

Ebenfalls keine Erklärung finde sich in der Verordnung dafür, was unter „Deckung der notwendigen Grundbedürfnisse des täglichen Lebens“ zu verstehen ist, bemängelt Wolff. Dazu müsse man erst die Erläuterungen zum Covid-19-Maßnahmengesetz lesen. Da finde man dann, dass etwa auch die Fahrt zum Zweitwohnsitz oder die Versorgung von Tieren darunter fällt.

Auffällig ist für den Juristen, dass mit der neuen Lockdown-Verordnung gleichzeitig gelindere Maßnahmen (Betretungsverbote, Masken- und Abstandspflicht) und die „ganz harte“ Ausgangssperren verfügt werden. Laut dem zugrunde liegenden Covid-Gesetz seien Ausgangssperren die Ultima Ratio für den Fall, dass gelindere Maßnahmen nicht reichen, um den Zusammenbruch des Gesundheitssystems zu verhindern. Es sei zu hoffen, dass der Gesundheitsminister stichhaltig belegen kann, warum eine so harte Maßnahme nötig ist, meinte Wolff - unter Hinweis darauf, dass der VfGH Corona-Regeln (wie den Mindestabstand von Restauranttischen) wegen fehlender Dokumentation aufgehoben hat.

Die Lockdown-Verordnung sei - neben jener vom März - einer der massivsten Eingriffe in die Grund- und Freiheitsrechte in der Zweiten Republik. Also sei besondere Vorsicht, größte Transparenz und umfassende Kommunikation geboten. Diesbezüglich habe sich die Regierung durchaus bemüht, anerkennt der Präsident des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages. Das sehe man etwa daran, dass die Ausgangssperren nur nachts und nicht - wie im März - durchläufig gelten, oder auch darin, dass nicht das Betreten jeder Art von Betriebsstätte untersagt ist.

Der Wiener Rechtsanwalt Horn hält die Regelungen zu den Ausgangsbestimmungen ebenso für rechtswidrig wie auch jene zu den Party-Verboten in Gärten, Garagen, Scheunen oder Schuppen. Zu den Ausgangsbeschränkungen zwischen 20 und 6 Uhr früh sagte Horn, die Regelung sei „äußerst unbestimmt, weil die Ausnahmen so weitgehend sind, dass sie das Verbot überhaupt aufzuheben scheinen“. Insbesondere der Ausnahmegrund „Aufenthalt im Freien zur körperlichen und psychischen Erholung“ könnte aufgrund des „Bestimmtheitsgrundsatzes“ verfassungswidrig sein, so Horn: Aus dem Verordnungstext gehe zu wenig konkret hervor, was gemeint ist.

Horn sieht auch die Regelung wegen der Bezugnahme auf den „eigenen privaten Wohnbereich“ als „hochproblematisch“. Denn die Bestimmung, wonach das „Verlassen des eigenen privaten Wohnbereichs“ und das „Verweilen außerhalb des eigenen privaten Wohnbereichs“ in den Nachtstunden nur zu bestimmten Zwecken zulässig ist, bedeute im Umkehrschluss, dass man sich zu dieser Zeit in fremden privaten Wohnraum nicht aufhalten darf (wie es ja auch die Regierung kommuniziert).

Für den Rechtsanwalt ist dies „rechtswidrig“, denn auf diese Regelung könnte jemand versuchen, „eine polizeiliche Nachschau (in den betroffenen Wohnungen, Anm.) zu stützen“. Eine solche Nachschau wäre „verfassungswidrig weil unverhältnismäßig“ (die Regierung betont freilich stets, dass derartiges nicht geplant ist, Anm.)

Die Bestimmung zum eigenen privaten Wohnraum selbst sei aber auch gesetzwidrig, so Horn. Denn der private Wohnbereich sei im COVID-19-Maßnahmengesetz, auf das die Verordnung Bezug nimmt, von Regelungen explizit ausgenommen. So heißt es im Gesetz, dieses ermächtige „zur Regelung des Betretens und des Befahrens von Betriebsstätten, Arbeitsorten, bestimmten Orten und öffentlichen Orten in ihrer Gesamtheit (...)“ Als „bestimmte Orte“ werden „bestimmte öffentliche und bestimmte private Orte mit Ausnahme des privaten Wohnbereichs“ definiert (§1 (3) COVID-19-MG). „Daher dürfte das gar nicht geregelt werden“, so Horn.

Die von der SPÖ regierten Bundesländer Wien, Kärnten und Burgenland kritisieren „unkoordiniertes Vorgehen“ der Bundesregierung bei den Covid-19-Maßnahmen. Dadurch würden Eltern, Lehrer und Schüler verunsichert, hieß es in einer Aussendung der Bildungsreferenten Jürgen Czernohorszky, Peter Kaiser und Daniela Winkler. Der Bildungsbereich werde zum Spielball der Regierung - Wien, Kärnten und Burgenland würden „ins Abseits gestellt“, lautete die Kritik.

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