Biontech veröffentlicht positive Daten zu Impfstoff

Ein effektiver Corona-Impfstoff in Europa und den USA rückt in greifbare Nähe: Als erste westliche Hersteller haben das Mainzer Unternehmen Biontech und der Pharmakonzern Pfizer am Montag vielversprechende Ergebnisse einer für die Zulassung entscheidenden Studie veröffentlicht. Demnach bietet ihr Impfstoff einen mehr als 90-prozentigen Schutz vor der Krankheit Covid-19. Schwere Nebenwirkungen seien bisher nicht registriert worden, hieß es.

Biontech und Pfizer wollten voraussichtlich ab der kommenden Woche die Zulassung bei der US-Arzneimittelbehörde FDA beantragen. Der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn sagte, er gehe von einer parallelen Beantragung der Zulassung bei FDA und der europäischen Arzneimittelbehörde EMA aus. Als deutscher Gesundheitsminister wolle er erreichen, dass ein Impfstoff eines deutschen Unternehmens „nicht zuerst in anderen Ländern zur Verfügung steht“. Auch von Biontech hieß es, die vorhandenen Dosen sollten „fair“ verteilt werden. Es werde nicht „ein Land alles erhalten“.

Für den Fall der Zulassung macht Clemens Wendtner von der München Klinik Schwabing Hoffnung auf einen raschen Impfstart: „Wenn dieser Schritt erfolgen wird, könnte in der Tat bereits Ende 2020 eine Impfwelle anrollen.“ Die vorgestellten Ergebnisse seien ein „Silberstreifen an dem sonst so düsteren Horizont“. Der österreichische Virologe Florian Krammer von der Icahn School of Medicine in New York nannte die Bekanntgabe die „beste Nachricht“ für ihn seit Beginn der Pandemie.

Biontech hatte den Impfstoff BNT162b2 im Projekt „Lightspeed“ (Lichtgeschwindigkeit) seit Mitte Jänner entwickelt. Die für eine Zulassung entscheidende Phase-3-Studie begann ab Ende Juli in verschiedenen Ländern. Bis Montag haben mehr als 43.500 Menschen mindestens eine der beiden Impfungen bekommen, die im Abstand von drei Wochen verabreicht werden. Ein Impfschutz wird nach Angaben der Hersteller eine Woche nach der zweiten Injektion erreicht.

In der Studie wurden demnach bis Sonntag insgesamt 94 Covid-19-Fälle bestätigt - die weitaus meisten davon bei der Kontrollgruppe, die das Placebo-Präparat erhalten hatte. Die Ergebnisse werden nach Angaben von Biontech und Pfizer erst dann abschließend ausgewertet, wenn insgesamt 164 Fälle erreicht sind. Zudem werde geprüft, in welchem Maß die Impfung nicht nur vor Covid-19 schützt, sondern auch vor schweren Verläufen der Krankheit. Insgesamt sollen sowohl die Schutzwirkung als auch etwaige Nebenwirkungen über einen Zeitraum von zwei Jahren beobachtet werden.

Die Weltgesundheitsorganisation äußerte sich optimistisch. Bei einer Auslieferung bis März kommenden Jahres an jene, die für das Virus am meisten anfällig seien, könnte der Verlauf der Pandemie ein fundamental andere Richtung einschlagen, sagte der WHO-Spitzenvertreter Bruce Aylward am Montag.

Abwartend äußerte sich hingegen Heidemarie Holzmann von der Medizinischen Universität (Meduni) Wien: Es handle sich um einen „interessanten Ansatz“ und „vielversprechenden Trend“, man warte aber noch auf detaillierte Daten.

Die bis dato vorhandenen Informationen beruhen lediglich auf einer Presseaussendung der beiden Unternehmen. Die Möglichkeiten, am heutigen Tag belastbare Aussagen dazu zu treffen, seien daher eingeschränkt, sagte die Wissenschafterin vom Zentrum für Virologie der Meduni zur APA. Wichtig sei, dass der Einsatz des Wirkstoffkandidaten, der als einer der aussichtsreichsten für eine Zulassung durch die Gesundheitsbehörden in den USA und Europa gilt, minutiös nachbeobachtet werde, betonte Holzmann.

Das Biontech-Präparat ist ein sogenannter RNA-Impfstoff, der auf einem bisher völlig neuen Mechanismus basiert. Er enthält genetische Informationen des Erregers, aus denen der Körper ein Viruseiweiß herstellt - in diesem Fall das Oberflächenprotein, mit dessen Hilfe das Virus in Zellen eindringt. Ziel der Impfung ist es, den Körper zur Bildung von Antikörpern gegen dieses Protein anzuregen, um die Viren abzufangen, bevor sie in die Zellen eindringen und sich vermehren.

Ein Vorteil von RNA-Impfstoffen ist, dass sie wesentlich schneller als konventionelle Impfstoffe produziert werden können. Biontech und Pfizer rechnen damit, noch in diesem Jahr weltweit bis zu 50 Millionen Impfstoff-Dosen bereitzustellen, im kommenden Jahr kalkulieren sie mit bis zu 1,3 Milliarden Dosen.

Die EU-Kommission verhandelt bereits seit einiger Zeit mit Biontech/Pfizer über einen Rahmenvertrag zur Lieferung des Impfstoffs an alle EU-Staaten. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schrieb am Montagnachmittag auf Twitter, man werde bald einen Vertrag über bis zu 300 Millionen Impfdosen abschließen. Unterzeichnet hat die Kommission bisher Rahmenverträge mit den Pharmafirmen Johnson&Johnson, Astrazeneca und Sanofi-GSK.

Für Corona-Impfstoffe gilt wegen der besonderen Dringlichkeit ein beschleunigter Zulassungsprozess. Bei der EMA können Arzneimittelhersteller schon vor dem kompletten Zulassungsantrag einzelne Teile zu Qualität, Unbedenklichkeit und Wirksamkeit eines Präparats einreichen. Ein solches Rolling-Review-Verfahren hat neben Biontech auch das britisch-schwedische Unternehmen Astrazeneca für seinen Impfstoff-Kandidaten gestartet. Astrazeneca hat bisher keine Phase-III-Daten veröffentlicht. Zum Zeitplan dafür lasse sich noch nichts sagen, teilte eine Sprecherin am Montag mit.

Zwar haben schon Länder wie Russland, China und kürzlich erst Bahrain Impfstoffe mit Einschränkungen freigegeben und impfen damit bereits Teile der Bevölkerung. Aber wie gut diese Impfungen tatsächlich schützen und welche Nebenwirkungen sie haben können, ist derzeit weitgehend offen.

Die Veröffentlichung der Zwischenresultate gab auch den Börsen Europas am Montag kräftig Auftrieb: Der Dax eroberte erstmals wieder seit Mitte Oktober die 13 000-Punkte-Marke und legte bis zur Mittagszeit um 4,6 Prozent auf 13 051,63 Punkte zu. Der Eurozonen-Leitindex EuroStoxx 50 gewann 4,9 Prozent auf 3362,09 Zähler. Im vorbörslichen US-Handel stiegen die Papiere des US-Pharmakonzerns Pfizer zunächst um rund 9 Prozent, die Biontech-Papiere schnellten um rund 16 Prozent nach oben. Auch (Noch)-Präsident Donald Trump reagierte enthusiastisch. „Solch großartige Neuigkeiten!“, twitterte er in Großbuchstaben.