Wenn die Welt verschwimmt: „Aufzeichnungen eines Serienmörders“
Krimikunst aus Korea: Im Oktober wurde Young-ha Kim für seinen Roman „Aufzeichnungen eines Serienmörders“ mit dem deutschen Hotlist-Preis für das beste in einem unabhängigen Verlag erschienene Buch ausgezeichnet.
Innsbruck – Inzwischen ist Byongsu Kim im Ruhestand. Und auch sein Geist dämmert dahin. Vor 25 Jahren hat er das letzte Mal gearbeitet. Oder waren es 26? Byongsu Kim hat Demenz. Die Erinnerungen schwinden. Er weiß aber noch, dass er einst sehr fleißig war. „Dreißig Jahre lang habe ich ununterbrochen getötet“, schreibt er. Byongsu – Ehemann, Vater, studierter Veterinär – war Serienmörder. Mit 45 ging er in den Ruhestand. Jetzt ist er 70. Also doch: 25 Jahre. Die Diagnose Alzheimer führt ihn in einen Lyrikkurs. So was könnte den Verlauf der Erkrankung verlangsamen. Der Dozent vergleicht das Dichten mit dem Morden. Ein Dichter packe die Sprache, „um sie am Ende zu erlegen“, sagt er. Byongsu Kim sieht das naturgemäß anders. Aber er hat andere Sorgen als poetologische Fachsimpelei. Er will seine Ziehtochter retten. Die hat sich in einen Mann verliebt, in dem Kim seinesgleichen zu erkennen glaubt, einen Killer: „Ich muss Jutae Park umbringen, bevor ich vergesse, wer er ist.“
Im Oktober wurde Young-ha Kim für seinen Roman „Aufzeichnungen eines Serienmörders“ mit dem deutschen Hotlist-Preis für das beste in einem unabhängigen Verlag erschienene Buch ausgezeichnet. Tatsächlich ist der im auf asiatische Literatur spezialisierten Cass Verlag erschienene Roman ein Meisterstück: brillant geplotet, lakonisch erzählt – und auch daher bisweilen unheimlich komisch.
Roman
Young-ha Kim: Aufzeichnungen eines Serienmörders.
Aus dem Koreanischen von Inwon Park.
Cass Verlag, 152 Seiten, 20,60 Euro.
Ein im besten Sinne fieses Buch
Dem in erster Person erzählenden Byongsu Kim mag man nichts glauben, seine Aufzeichnungen sind bisweilen desperat: manchmal sachlicher Bericht, dann wieder Erinnerungsfetzen oder Reflexion. Über Nietzsche zum Beispiel. Oder über das Leben. Das Tagebuch eines dementen Mannes – und (möglicherweise) Ausdruck einer von der Krankheit getrübten Wahrnehmung, denn die Polizei zieht andere Schlüsse als Byongsu Kim.
„Aufzeichnungen eines Serienmörders“ ist ein im besten Sinne fieses Buch, ein glasklarer Text darüber, wie die Welt verschwimmt. Am Ende könnte alles ganz anders gewesen sein, denn während man Byongsu Kim bei der Planung seiner letzten Tat begleitet, wird ein ganz anderer Killer enttarnt. Und dem entkommt keiner. Nicht das Böse sei beängstigend, notiert Byongsu Kim, sondern die Zeit. „Denn gegen die sind wir alle machtlos.“ (jole)