Norwegen-Cheftrainer Stöckl: „Wir haben in den sauren Apfel beißen müssen“
Der Tiroler Alexander Stöckl, Erfolgscoach der Norweger, blickt mit großen Hoffnungen auf den ersten Saisonhöhepunkt. Sein Team gilt bei der Skiflug-WM in Planica zu den ganz großen Favoriten.
Von Benjamin Kiechl
Planica – In Top-Form befinden sich vor Beginn der Skiflug-WM in Planica die norwegischen Skispringer. Der Dreifachsieg in Nischnij Tagil (RUS) war eine Machtdemonstration. Alexander Stöckl ist seit fast zehn Jahren (März 2011) Norwegens Erfolgscoach. Im TT-Gespräch erzählt der 46-jährige St. Johanner über ...
... die Top-Form der Norweger: Wir sind mannschaftlich stark aufgestellt. Mit Halvor Egner Granerud, Robert Johansson und Marius Lindvik hatten wir in Nischnij Tagil drei Athleten am Stockerl. Dazu kommt noch Skiflug-WM-Titelverteidiger Daniel-André Tande. Die Favoritenrolle macht es für uns aber nicht einfacher.
... die Konkurrenten: Ich rechne mit den Deutschen rund um Markus Eisenbichler. Er ist ein guter Flieger und hat Lunte gerochen, weil er zuletzt ein bisschen Windpech hatte. Dann gibt es die üblichen Verdächtigen aus Polen und hoffentlich starke Österreicher.
... die Weitenjagd in Planica: Schwer zu sagen, ob ein neuer Weltrekord möglich ist. Man weiß nie, wie die Schanze beisammen ist. So früh im Winter sind wir in Planica noch nie gesprungen. Die Spur wird besser sein, das Gleitgefühl ganz anders als bei 15 Grad im Frühling. Die Athleten haben erst wenige weite Sprünge in den Beinen, daher wird die Routine ein wichtiger Faktor sein.
... den Stellenwert der Skiflug-WM: Das Skifliegen ist die Königsklasse. Vergleiche sind aber schwierig. Die Vierschanzentournee steht für Tradition, die WM in Oberstdorf ist eine Meisterschaft.
... Budgetsorgen aufgrund der Corona-Krise: Durch die Absage der Raw Air und anderer Bewerbe hat der norwegische Skiverband große Verluste eingefahren. Die TV-Einnahmen sind weggebrochen, das trifft alle Sparten. Wir haben in den sauren Apfel beißen und unser Budget um ein Drittel reduzieren müssen. Manche Trainer waren im Sommer in Kurzarbeit. Wir haben versucht, dennoch gut weiterzuarbeiten.
... die Saison-Vorbereitung der Norweger: Aufgrund der Sparmaßnahmen haben wir uns dafür entschieden, auf Auslandsreisen zu verzichten. Wir hatten keine Möglichkeit, im Sommer auf einer Großschanze zu trainieren.
... den straffen Weltcup-Fahrplan im Corona-Winter: Die Skisprung-Familie hält zusammen. Enthusiasmus und Motivation sind dermaßen hoch, dass ich positiv gestimmt bin, dass wir das schaffen: Der Einsatz der Veranstalter ist unglaublich, obwohl sie keine Zuschauereinnahmen haben. Die Verbände versuchen, den Sport leben zu lassen und Wettkämpfe auszurichten. Die Athleten sind Vorbilder und halten die Corona-Regeln ein.
... das Leben in der „Skisprung-Blase“: Wir sind seit fast vier Wochen ununterbrochen unterwegs. Es ist eine Herausforderung, aber wir sind ein Teil von etwas Größerem. Unser Ziel ist es, dass wir bei jedem Weltcup dabei sind und nichts auslassen. Nach Norwegen zu reisen, zahlt sich ohnedies nicht aus, da wir aufgrund der Quarantänepflicht zehn Tage zuhause bleiben müssten. Außerdem setzt man sich dem Risiko aus, mit einer Linienmaschine heimzufliegen und sich womöglich anzustecken.
... die Corona-Infektionen bei den ÖSV-Adlern: Es ist für Außenstehende schwer zu sagen, was der Grund für die vielen Infektionen ist. Sie bringen das Virus nicht aus der Gruppe raus, das ist ein Problem. Ich hoffe stark, dass Stefan Kraft als ausgezeichneter Flieger und Michael Hayböck bei der WM dabei sind. Nur so bekommen wir einen vollwertigen Wettkampf.
... den neuen FIS-Renndirektor Sandro Pertile (ITA): Er hat immer ein offenes Ohr für uns und setzt auf große Transparenz. Alle Beteiligten sind bei Entscheidungen involviert. Im Sommer wurden alle zwei Wochen Meetings mit Trainern, Funktionären und auch Athleten abgehalten. Wir versuchen gemeinsam, Skispringen auf das nächste Level zu heben.