Beethoven-Geburtstagsjahr hat viel zu bieten
Das Beethoven-Geburtstagsjahr 2020 steuert seinem Stichtag am 17. Dezember zu, hat trotz Corona viel zu bieten und wird auch weitergeführt.
Von Ursula Strohal
Innsbruck – „Fidelio“ umklammert das Musikjahr. Es begann mit René Jacobs’ faszinierender Sicht auf Beethovens einzige Oper. Er präsentierte die älteste Version, die verkannte „Leonore“, als veritables Meisterwerk. Die Aufnahme veränderte den Blick auf diese Oper, deren Entwicklung von „Leonore“ (1805) bis zu „Fidelio“ (1814) drei Fassungen und vier Ouvertüren umfasst. Durchgesetzt hat sich „Fidelio“. Die Urfassung sei die „gewagtere, modernere“, sagte Jacobs und besetzte das Liebespaar mit Marlis Petersen und Maximilian Schmitt nicht wie heute üblich mit Wagner-schweren, sondern mit Mozart-nahen Stimmen. Da sage man nicht mehr, dass Beethoven nicht für Stimmen komponieren konnte, mahnte Jacobs.
Doch Rücksichten kannte Beethoven nicht. Wie bei vielen Komponisten führten seine Anforderungen zu Fortschritten im künstlerischen und instrumententechnischen Spektrum. „Was kümmert mich seine elende Fidel, wenn der Geist zu mir spricht?“, fuhr er den Geiger Schuppanzigh an, als dieser, Primus des ersten professionellen Streichquartetts, eine Unspielbarkeit reklamierte. Allerdings reiste seine Violine damals noch nicht im Klimakoffer mit Hydrometer, sie kämpfte mit Feuchtigkeit und Temperaturen.
Vor 250 Jahren erblickte Ludwig van Beethoven in Bonn das Licht der Welt, das genaue Datum ist unbekannt. Am 17. Dezember 1770 wurde er getauft. Zur Abrundung des Beethoven-Jahres übertrug der ORF am Samstag in Ö1 einen heuer im Londoner Royal Opera House entstandenen, unter Antonio Pappano musikalisch ebenso spannenden wie differenzierten „Fidelio“. Besetzt an der Spitze mit Lise Davidsen und Jonas Kaufmann, zwei großen, dunkel gefärbten Stimmen. Im Finale hörte man den überraschenden Schuss, den Marzelline auf Pizarro abgibt. Eine Idee von Regisseur Tobias Kratzer.
Zwischen „Leonore“ und „Fidelio“ also das Beethoven-Jubiläum, kreativ und konservativ, anspruchsvoll und bemüht, auch unüberschaubar? Die Feiern begannen früh, dann breitete im Frühjahr die Corona-Pandemie weitgehend den Mantel des Schweigens darüber. Wer wollte, konnte die Beethoven-Begegnung dennoch zulassen.
Da wird von dem Musikwissenschafter Martin Geck in seiner anspruchsvollen Studie „Beethoven: Der Schöpfer und sein Universum“ (Siedler Verlag) an zeitliche Relationen erinnert, wenn im Jahr 1782, „als der junge Beethoven in Bonn das Wohltemperierte Klavier studiert, der 26-jährige Mozart in Wien das Gleiche tut“. Geck stellt die Frage „Was bedeutete es, die eigene Lebenswirklichkeit im künstlerischen Werk nicht nur zu inszenieren, sondern auch zu transzendieren?“ und führt damit ins weite philosophische Feld, aber unter vielen anderen Betrachtungen auch in die Beethoven-Bilder großer Pianisten.
🎧 Gehört
Fesselnd ohne kollektives Lärmen
Alle Menschen werden Brüder. Die weltumspannende Botschaft Beethovens 9. Symphonie entlockt in ihrer Leidenschaftlichkeit und auch als Meilenstein der Musikgeschichte den Musikern meist höchstes Pathos. Pablo Heras-Casado geht mit dem Freiburger Barockorchester, der Zürcher Sing-Akademie und Lied-erprobten Solisten einen sensiblen, eindrucksvollen Weg ohne kollektive Euphorie (harmonia mundi).
Beethoven rund um die Welt
Auch die Einspielung sämtlicher 16 Streichquartette Beethovens durch das Quatuor Ébène (harmonia mundi) gehört zu den neuen Veröffentlichungen, die das Jubiläumsjahr überstrahlen. Die Aufnahmen sind bei Konzerten rund um den Globus entstanden, deshalb auch das Motto: „Beethoven around the world.“ Von Klarheit und Farbe gekennzeichnetes Musizieren.
Voller Hingabe und Transparenz
Kristian Bezuidenhout, Pablo Heras-Casado und das Freiburger Barockorchester schreiten mit Zuwendung und Transparenz in der Aufnahme der Klavierkonzerte Beethovens fort – auf dem Nachbau eines Graf-Hammerklaviers. Im sehr persönlichen vierten (harmonia mundi) spiegelt sich die drohende Ertaubung. Dazu „Coriolan“ und die Ouvertüre zu „Die Geschöpfe des Prometheus“.
Der Musikforscher und Musiker Ulrich Drüner schaut sich nahe beim Komponisten um: „Beethoven ist nicht der Kunst-Heros, der niemanden braucht und alles ganz allein aus sich heraus zu schaffen vermag.“ Vor allem habe ihm der österreichische Erzherzog Rudolph innerhalb der Ertaubung zu einem zweiten Leben verholfen.
Der umfangreiche Werkkatalog Beethovens mit neun Symphonien, fünf Klavierkonzerten und 32 Klaviersonaten, 16 Streichquartetten, zehn Violinsonaten, einer Oper, der „Missa solemnis“ und einer Vielzahl kammermusikalischer Kompositionen hätte heuer unzählige Konzerte gebracht. Vereinzelt sind sie digital zu erleben. Und auch die CD-Kataloge warten mit Vielfalt auf, hinter der sich nicht selten interessante Konzepte, neue Zugänge und exzellente Deutungen verbergen.
Beethoven-Ausstellungen (allein der Franzose Émile-Antoine Bourdelle, 1861–1929, hatte 80 Beethoven-Skulpturen, dazu Zeichnungen und Pastelle geschaffen), das Eier klauende Kind Beethoven, geschildert in zeitgenössischen Handschriften (Beethoven-Haus Bonn), der leidenschaftliche Naturverehrer Beethoven, der nun für den Klimaschutz stehen soll, seine Angewohnheit, seinen Namen hin und wieder auf BTHVN zu komprimieren – das Beethoven-Jahr bietet unerschöpflichen Stoff.
Es ist noch nicht zu Ende. Die Beethoven-Jubiläums GmbH BTHVN 2020 verlängert ihr Fest bis September 2021. Gespielt und gesungen wird Beethoven ohnehin, solange Menschen musizieren.