EU-Gipfel einigt sich auf Klimaziel von minus 55 Prozent

Nach gut 21 Stunden ist der EU-Gipfel in Brüssel zu Ende gegangen. Gerungen hatten die 27 EU-Staats- und Regierungschefs vor allem um ein verschärftes Klimaziel für 2030. Freitagfrüh einigten sie sich dann darauf, dass der Ausstoß von Treibhausgasen um mindestens 55 Prozent unter den Wert von 1990 sinken soll. Bisher galt ein Ziel von minus 40 Prozent. EU-Ratspräsident Charles Michel freute sich auf Twitter: „Europa ist im Kampf gegen den Klimawandel führend.“

Der Einigung waren stundenlange Verhandlungen gerade mit osteuropäischen Ländern wie Polen, Tschechien und Ungarn vorausgegangen, die mehr finanzielle Hilfe für den Übergang von ihrer Kohle-gestützten Energieerzeugung zu nicht-fossiler Stromproduktion gefordert hatten. Dafür sind nun Milliardentöpfe geplant: ein Modernisierungsfonds, der aus Einnahmen aus dem Emissionshandel gespeist wird; ein Fonds für gerechten Wandel, aber auch der 750 Milliarden Euro schwere Corona-Aufbaufonds, der zu mindestens 30 Prozent zur Umsetzung der Klimaziele genutzt werden soll. Das Haushaltspaket war zuletzt wegen eines Vetos durch Ungarn und Polen blockiert. Eine Einigung im Haushaltsstreit bahnte beim Gipfel auch den Weg für den Klimabeschluss.

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), der am Verhandlungsmarathon in Brüssel teilgenommen hatte, zeigte sich erfreut über das Ergebnis: „Ich bin froh, dass es uns nun fünf Jahre nach Abschluss des Pariser Klimaabkommens gelungen ist, Einigung auf ein neues Klimaziel für 2030 zu erreichen.“ Gleichzeitig betonte er, dass auch die Wirtschaft nicht vergessen werden dürfe: „Parallel dazu müssen Maßnahmen gesetzt werden, um die Wettbewerbsfähigkeit in Europa zu erhalten. Es muss verhindert werden, dass europäische Unternehmen in Zukunft abwandern und anderswo unter schlechteren Standards produzieren und somit in Europa Arbeitsplätze vernichtet werden. Dazu bekennt sich der Europäische Rat in aller Klarheit.“

Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) begrüßte das Ergebnis als „wichtigen Schritt für die Zukunft Europas“. „Vor einem Jahr hätte ein solch ambitioniertes Ziel niemand für möglich gehalten. Das wird auch die notwendige Rolle Europas als Vorreiter im Klimaschutz stärken“, sagte Kogler.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen freute sich über die Ergebnisse des Marathon-Gipfels zum EU-Haushalt, zum Corona-Plan und zum neuem Klimaziel für 2030. „Was für ein Triple, das ist beeindruckend. Und das ist ein guter Tag heute für Europa“, sagte von der Leyen an die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel gerichtet. Die Einigung auf das 1,8 Billionen Euro schwere Finanzpaket für die kommenden Jahre wäre ohne die „beständige Führung“ Merkels unter der deutschen EU-Ratspräsidentschaft nicht möglich gewesen. „Dafür sind wir sehr dankbar.“

Merkel hatte beim Gipfel für das neue 55-Prozent-Ziel geworben. Auch der französische Präsident Emmanuel Macron hatte sich dafür stark gemacht. „Wir müssen unsere Zusagen mit Blick auf 2030 erhöhen“, sagte er. „Das wird von Europa erwartet.“

Der Umweltorganisation Greenpeace geht der EU-Beschluss nicht weit genug .“Um eine Begrenzung der Erderhitzung auf 1,5 Grad mit großer Wahrscheinlichkeit zu erreichen, wären 65 Prozent weniger Treibhausgase in der EU nötig“, sagte Deutschland-Chef Martin Kaiser der Deutschen Presse-Agentur. Zudem rechne sich die EU das neue Klimaziel schön, weil erstmals auch die Klimagase einberechnet werden sollen, die in Wäldern und anderen „Senken“ gespeichert werden.

Für die Umweltorganisation „Global 2000“ gilt es allen Versuchen, die Ziele zu verwässern, eine klare Absage zu erteilen, betonte Johannes Wahlmüller, Klima- und Energiesprecher. Positiv sieht er, dass die bisherigen völlig unambitionierten EU-Ziele nun endgültig vom Tisch seien. Nun brauche es zwischen den EU-Institutionen Verhandlungen, das EU-Parlament befürwortet eine Reduktion um 60 Prozent. Die Umweltorganisation appellierte an Kanzler Kurz, Flexibilität zu signalisieren und dem EU-Parlament entgegenzukommen: „Es ist noch nicht zu spät, für die EU ein ehrgeiziges Ziel zu formulieren, das auch tatsächlich mit dem Pariser Klimaschutzabkommen vereinbar ist“, so Wahlmüller.

Die Umweltschutzorganisation WWF Österreich bewertete die Einigung als „mutlosen Kompromiss auf Kosten der Zukunft“. „Unser Klima kann nur dann stabilisiert werden, wenn der C02-Ausstoß massiv und rasch reduziert wird“, sagte WWF-Klimasprecher Karl Schellmann.