Deferegger Heimatkalender: Dorfleben in Kalenderform
Ottilie Stemberger erstellt seit 22 Jahren den Deferegger Heimatkalender. Die historischen Aufnahmen zeichnen Leben und Arbeit im Tal nach.
Von Catharina Oblasser
St. Veit i. D. – Die Begeisterung für Geschichte trägt Ottilie Stemberger in ihren Genen. „Schon meine Eltern waren historisch sehr interessiert“, erzählt die 61-Jährige aus St. Veit in Defereggen. „Mein Vater galt im Dorf als lebende Chronik.“ Diese Begeisterung findet seit 22 Jahren Ausdruck in einem großformatigen, reich bebilderten Kalender: dem Deferegger Heimatkalender, der 2021 zum 22. Mal erscheint.
Zu jedem Monatsblatt gehört eine historische Aufnahme, die das Leben von anno dazumal zeigt: Sternsinger aus dem Jahr 1962, eine Familie bei der Bergmahd in den 1950er-Jahren, drei Cousinen in Tracht, aufgenommen 1932. Den drei Talgemeinden Hopfgarten, St. Veit und St. Jakob räumt der Kalender jeweils gleich viel Platz ein.
Eigentlich war der Heimatkalender als einmalige Angelegenheit gedacht, erinnert sich Stemberger. „Gefragt war damals ein Beitrag aus dem Defereggen für eine Ausstellung des Nationalparks zum Thema ,Frauen in den Hohen Tauern‘. Nach dem Ende der Ausstellung hab ich mir gedacht: Was mach ich jetzt mit dem Material? Zum Wegwerfen war es mir zu schade.“ Das Ergebnis ihrer Überlegungen war der erste Heimatkalender, erschienen im Jahr 2000.
„Die erste Auflage von 500 Stück war so schnell vergriffen, dass uns alle gesagt haben: ‚Jetzt müsst ihr weitermachen!‘“, erzählt die St. Veiterin. Seither sind Ottilie, Ehemann Hubert und fünf weitere Frauen und Männer aus dem Tal stets auf der Suche nach neuen alten Fotos. Zu jedem Monat gibt es ein Beiblatt mit Heimat- oder Naturkunde, Wetterregeln oder Kräuterwissen.
Findet man nach so vielen Jahren überhaupt noch genug Stoff? „Ja, auf jeden Fall“, antwortet die Hobby-Historikerin. „Wir haben inzwischen ein großes Archiv mit unveröffentlichten Bildern. Und heute müssen wir den Fotos auch nicht mehr nachlaufen, sondern die Menschen kommen damit zu uns.“
Bilder zu finden, ist also nicht so schwer, aber die Namen der Dargestellten herauszufinden, oft umso mehr. Da werden Großeltern befragt, das Kalenderteam informiert sich in alten Aufzeichnungen. In den meisten Fällen hat das Nachforschen Erfolg, heraus kommt eine detailreiche Beschreibung der Familien und Verwandtschaftsverhältnisse in den drei Talgemeinden.
Im Brotberuf war „Otti“, wie sie von Freunden genannt wird, Gemeindesekretärin von St. Veit. So wenig wie sie geplant hat, Kalendermacherin zu werden, so zufällig ergab sich auch diese Laufbahn. Nach der Handelsschule arbeitete Stemberger einige Jahre auswärts. Zu dieser Zeit – es war 1979 – suchte die Gemeinde einen neuen Amtsleiter. Die junge Frau bewarb sich – „eigentlich nur, um meinen Eltern einen Gefallen zu tun“ – und wurde prompt genommen. „Zu dieser Zeit war das eine Sensation im Dorf. Eine ‚Weibische‘ als Gemeindesekretärin! Und noch dazu eine so junge“, erinnert sich sie heute. Stemberger blieb 34 Jahre lang im Amt – obwohl oder vielleicht gerade weil sie eine „Weibische“ war. Wobei dieser Begriff oft falsch verstanden wird, führt sie aus. „Die Bezeichnung ,Weibische‘ ist im Defereggen keine Beschimpfung, sondern ein Kompliment. Es ist ein Synonym für Tüchtigkeit und die Fähigkeit, aus allem etwas zu machen.“ Verwendet wurde der Begriff zum Beispiel in der Nachkriegszeit, als es kaum Nahrungsmittel gab. „Aber eine echte Deferegger Weibische hat es immer geschafft, etwas zu essen auf den Tisch zu bringen.“
Mut und Durchhaltevermögen brauchte Stemberger auch 2013, als sie bei einer Routineuntersuchung die Diagnose Brustkrebs erhielt. In dieser Zeit habe ihr das Kalendermachen geholfen, sagt sie. „Es war eine Konstante in meinem Leben, und es kommt sehr viel Positives zurück.“