Ein raketenhafter Aufstieg: Tiroler Josef Aschbacher neuer ESA-Chef
Der 58-jährige Tiroler Josef Aschbacher wird ab Juli 2021 die Europäische Weltraumorganisation ESA anführen. Die Wahl eines Österreichers in diese Position wird als Sensation gesehen.
Von Matthias Christler
Paris, Innsbruck – Sein halbes Leben lang musste Josef Aschbacher warten, bis er der Erste sein konnte. Als Franz Viehböck 1991 als erster Österreicher in den Weltraum abhob, musste der damals 29-jährige Tiroler, der sich auch für diese Mission beworben hatte, vom Boden aus zusehen. Jetzt, im Alter von 58 Jahren, übernimmt Aschbacher als erster Österreicher den wichtigsten Posten der Europäischen Weltraumorganisation ESA für zumindest vier Jahre.
Obwohl seit Wochen spekuliert werden konnte und es bei Insidern nur noch als Formalakt galt, wird die gestrige Ernennung dennoch als Sensation gewertet. Als eines der kleinsten der 22 Mitgliedsländer trägt Österreich nur ca. 2 Prozent zum 6,7 Milliarden Euro hohen ESA-Budget bei. In den vergangenen 36 Jahren wechselte der Chefposten stets zwischen den großen Beitragszahlern Deutschland, Frankreich und Italien. Oft entschieden dabei politische Spielchen im Hintergrund, nicht die Fachkompetenz.
„Ellmau goes sky“
Am Fuße des Wilden Kaisers schlug die Nachricht, dass Josef Aschbacher ESA-Chef wird, ein wie ein Meteorit. „Ellmau goes sky“, jubelt Bürgermeister Nikolaus Manzl. In gewisser Weise sei die Gemeinde jetzt mit dem Himmel verbunden.
Eigentlich hätte Aschbacher als ältestes von sechs Kindern den Bergbauernhof des Vaters, der drei Kilometer vom Dorfzentrum entfernt liegt, übernehmen sollen. „Doch er wollte immer schon raus in die Welt. Und er kommt regelmäßig wieder und übernachtet am Hof“, weiß Manzl, den eines besonders freut: „Das ist eine tolle Botschaft, dass man sieht, wie jemand aus einem kleinen Ort so eine Karriere machen kann.“
Einerseits soll das laut ESA-Insidern auch dieses Mal eine Rolle gespielt haben. Da Aschbacher einige Jahre bei der EU-Kommission engagiert war und bei der ESA immer wieder an wichtigen Positionen eingesetzt wurde, ist er sowohl in der Politik, als auch in der Wissenschaft bestens vernetzt.
Andererseits muss er bei den fachlichen Hearings einen herausragenden Eindruck hinterlassen haben. In einer geheimen Test-Abstimmung Ende November im ESA-Rat sollen 18 von 21 Stimmen auf ihn entfallen sein, er setzte sich klar gegen Mitbewerber aus Spanien und Norwegen durch. So stand quasi schon vor dem gestrigen Treffen der ESA in Paris fest, dass nur noch Aschbacher als Kandidat zur Wahl aufgestellt wird.
Das ist die ESA
Gründung. Die ESA wurde 1975 mit dem Ziel der friedlichen Erforschung des Weltraums gegründet, derzeit hat sie 22 Mitgliedsländer. Österreich ist seit 1987 mit an Bord und stellt mit Josef Aschbacher zum ersten Mal den Generaldirektor. Er löst 2021 den Deutschen Jan Wörner ab, der sich nicht für eine zweite Amtszeit von vier Jahren beworben hat.
Standorte. Das Hauptquartier der ESA liegt in Paris, es gibt acht weitere Standorte in Europa sowie den europäischen Weltraumbahnhof in Kourou in Französisch-Guayana. Von dort aus starten Europas Ariane- und Vega-Raketen zu Forschungs- und wirtschaftlichen Zwecken in Richtung All. Der gesamte Mitarbeiterstand der Organisation umfasst derzeit etwa 2300 Personen.
Erfolge. Einer der wahrscheinlich größten Erfolge der Organisation in den vergangenen Jahren war die „Rosetta“-Mission mit der Landung einer Sonde auf dem Kometen „Tschuri“ im November 2014.
Seine Ernennung sollte am frühen Nachmittag erfolgen, doch offensichtlich wurde nicht lange diskutiert, denn die ESA gab die Entscheidung bereits um 10 Uhr bekannt. Im Juli 2021 wird Aschbacher seinen neuen Posten als Generaldirektor der ESA antreten. In einer ersten Stellungnahme sagte der Tiroler, dass er sich „sehr geehrt“ fühle angesichts der „großen Herausforderung“. Außerdem sprach er die Kommerzialisierung der Raumfahrtindustrie an, die er intensivieren wolle. Oft stelle sich die Frage, warum Europa bisher keine Firma wie SpaceX hervorgebracht hat, er habe „einige Ideen, wie sich das ändern kann“, sagte Aschbacher.
Weggefährten wie Thomas Nagler, die ihn seit seiner Zeit an der Uni Innsbruck kennen, sehen den Geophysiker als geschaffen für den neuen Job – und nicht wie Viehböck an Bord einer Rakete, umgeben von Stahl und Computern. Der Sohn eines Bergbauers aus Ellmau könne mit Menschen noch besser umgehen als mit Maschinen. „Er war sehr zielstrebig und konsequent, aber trotzdem immer kollegial und er hat den Jüngeren am Institut wie mir geholfen“, erzählt Nagler, der in den 80er-Jahren mit Aschbacher am Institut für Meteorologie und Geophysik ein Büro teilte. „Seine Stärke ist, dass er gut zuhört, andere überzeugen kann und bei Problemen bis zum Schluss, solange es dauert, einen Konsens sucht“, beschreibt er den nächsten ESA-Chef.
Der geradezu raketenhafte Aufstieg begann, als er mit sieben Jahren auf verwackelten Fernsehbildern am Bergbauernhof in Ellmau die Mondlandung miterlebte. Der Weltraum war immer sein Ziel, das verfolgte er nach einem Plan, Stufe für Stufe ließ er hinter sich, um selbst Teil der Weltraumforschung zu werden.
Obwohl sich inzwischen seine Perspektive verändert hat. Er blickt nicht mehr hinauf zu Mond und Sternen, dafür hat er mit den Satelliten aus dem von ihm mitentwickelten Programm „Copernicus“ einen Überblick über die Erde. Seit 2016 leitet er als Direktor das gesamte ESA-Erdbeobachtungsprogramm, das unter anderem wichtige Daten für die Klimaforschung liefert.
In einem Interview mit der Tiroler Tageszeitung fasste er 2019 seine Arbeit so zusammen: „Mit der Erdbeobachtung können wir dazu beitragen, unseren eigenen Lebensraum zu verbessern, und sichtbar zeigen, was sich verändert. Das ist wichtig, um eingreifen zu können und Schäden zu verhindern.“ Diese Aufgabe wird er in Zukunft vom höchsten ESA-Posten aus fortsetzen. Seine erste Reise als designierter Generaldirektor führt Aschbacher heute nach Wien, um über Weltraumforschung und Klimaschutz zu sprechen.
Von Tirol aus die Welt erfasst
Die NASA plant Mars-Flüge und die chinesische Weltraumbehörde sammelt Gestein vom Mond ein. Dafür hat die Europäische Weltraumorganisation ESA mit ihren Dutzenden Satelliten den besten Blick auf die Erde. Josef Aschbacher leitet seit 2016 den Erdbeobachtungsbereich und ist für diese Aufgabe mit dem größten Budget der ESA ausgestattet. Am Institut für Meteorologie und Geophysik an der Universität Innsbruck legte der Tiroler den Grundstein für seine Karriere mit der Erforschung der Erde vom All aus.
Helmut Rott, bei dem Aschbacher 1989 seine Dissertation verfasste, hatte den Ellmauer für die Oberflächenbeobachtung durch Satelliten, unter anderem mit Radar-Technologien, begeistert. In den meisten von Aschbachers mehr als 100 wissenschaftlichen Publikationen geht es darum, wie man die Veränderung der Erdoberfläche erfassen kann.
In einer Zeit, als noch nicht klar war, wie wichtig die Fernerkundung für die Klimaforschung wird, „haben wir uns schon damit beschäftigt“, sagt Rott, der stolz ist, dass jemand von seinem Institut in der ESA Karriere gemacht hat.
Thomas Nagler, ein weiterer Schüler von Rott, der inzwischen das Innsbrucker Forschungsunternehmen Enveo IT leitet, ist überzeugt, dass Aschbacher bei der ESA überzeugend dargelegt hat, „wie wichtig die Erdbeobachtung ist und noch sein wird“ – etwa bei der Veränderung von Gletschern, Schneeausdehnungen und beim Polareis. Der im November erfolgreich ins All gestartete ESA-Satellit „Sentinel 6“ kümmert sich um die Ozeane. Präziser als je zuvor vermisst er den Anstieg der Meeresspiegel. Forscher können daraus ableiten, wie sich das Klima wandelt.