Berufung abgelehnt - Nawalny muss ins Straflager
Der russische Regierungskritiker Alexej Nawalny muss eine mehrjährige Haftstrafe im Straflager antreten. Seine Anwälte scheiterten am Samstag vor einem Gericht in Moskau mit dem Versuch, ein zu Monatsbeginn verhängtes Urteil aufzuheben. Das Urteil von dreieinhalb Jahren Straflager bleibt damit bestehen. Die tatsächliche Haftzeit dürfte aber kürzer ausfallen, weil Nawalnys Anwälte davon ausgehen, dass ihm ein mehrmonatiger Hausarrest und frühere Haftzeiten angerechnet werden.
Die Richter hatten dem 44-Jährigen vorgeworfen, gegen Bewährungsauflagen in einem früheren Strafverfahren verstoßen zu haben, während er sich in Deutschland von einem lebensgefährlichen Anschlag mit dem Nervengift Nowitschok erholte. Nawalny, prominentester Kritiker von Präsident Wladimir Putin, bezeichnete den Vorwurf, er habe sich vor der Justiz verstecken wollen, am Samstag einmal mehr als „absurd“. Er sei Ende Jänner freiwillig nach Russland zurückgekehrt. „Die ganze Welt wusste, wo ich mich aufhalte.“
Zum Urteil vermerkte Nawalny im Gerichtssaal: „Ich spreche so oft das letzte Wort. Jetzt geht dieser Prozess zu Ende - und es kommt der nächste. Und dort werde ich auch das letzte Wort haben. Falls sich jemand entschließen sollte, meine letzten Worte zu veröffentlichen, wird ein dickes Buch dabei herauskommen.“
Auch international hatte das Urteil für heftige Kritik gesorgt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) forderte Russland erst am Mittwoch auf, Nawalny unverzüglich aus der Haft zu entlassen. Das Urteil in diesem früheren Verfahren hatte das Menschenrechtsgericht 2017 als offenkundig unangemessen bezeichnet. Moskau wies die Forderung als Einmischung in innere Angelegenheiten zurück.
Der Oppositionspolitiker könnte schon in der kommenden Woche in ein Straflager überstellt werden, meldete die Staatsagentur Ria Nowosti. Ein genauer Tag wurde zunächst nicht genannt.
Unterdessen will die Menschenrechtsorganisation Amnesty International eine Petition zur Freilassung Nawalnys an den Kreml überreichen. Dazu seien in mehreren Ländern der Welt fast 200.000 Unterschriften gesammelt worden, hieß es. Nawalny werde wegen friedlicher politischer Aktivitäten im Kampf gegen Korruption verfolgt und weil er sein Recht auf freie Meinungsäußerung durchsetze.
Für Samstagnachmittag war ein weiterer Prozess gegen Nawalny angesetzt - er muss sich damit an einem einzigen Tag zweimal vor Gericht verantworten. Im zweiten Verfahren wird ihm vorgeworfen, einen 94 Jahre alten Teilnehmer des Zweiten Weltkrieges beleidigt haben soll. Am mittlerweile vierten Prozesstag wird auch in diesem Fall das Urteil erwartet. Die Staatsanwaltschaft forderte eine hohe Geldstrafe, Nawalnys Anwältin plädierte dagegen auf Freispruch.
Nawalny hatte im vergangenen Jahr Protagonisten eines Propagandavideos zur umstrittenen Verfassungsänderung als „Verräter“ bezeichnet. Darin war auch der Veteran aufgetreten. Nawalny beruft sich auf das Recht auf freie Meinungsäußerung. Nawalnys Inhaftierung vor fast einem Monat hatte in Russland Massenproteste ausgelöst. Mehr als 11.000 Menschen wurden festgenommen. Nawalnys Team kündigte zuletzt an, die Proteste im Frühjahr und Sommer fortsetzen zu wollen.
Der Oppositionsführer war am 20. August während eines Inlandsflugs zusammengebrochen. Er kam zunächst in ein Krankenhaus in Sibirien. Zwei Tage später wurde er zur Behandlung nach Berlin geflogen. Untersuchungen mehrerer Labors zufolge wurde er mit dem Kampfstoff Nowitschok vergiftet. Russland hingegen sieht keine Hinweise auf eine Vergiftung und deshalb keinen Grund für Ermittlungen.