„Die Gegenstimme“ von Thomas Arzt: Einer schert aus
Dramatiker Thomas Arzt legt mit „Die Gegenstimme“ sein Romandebüt vor.
Innsbruck – Der 10. April 1938 fiel auf einen Sonntag. Palmsonntag war, ein Feiertag. Und das Dorf geschmückt. Schon seit Tagen. Behördlich verordnet. Denn auch ein weltlicher Jubeltag stand an. Am 10. April wurde abgestimmt über den „Anschluss“ Österreichs an Hitlerdeutschland. Gelebte Scheindemokratie. Wer in der Anonymität einer Wahlkabine sein Kreuzchen machen wollte, galt als verdächtig. In dem Dorf, in dem sich diese Geschichte zugetragen hat – sie orientiert sich lose an einer wahren Begebenheit –, stimmen 99,7 Prozent für Hitler. Nur einer scherte aus. Einer, der schon davor bisweilen aus der Reihe tanzte, inzwischen in Innsbruck Geschichte studiert und gelernt hat, dass es kein Ausweg ist, wenn man sich nur im Vergangenen vergräbt. Er stimmt nicht gegen den „Anschluss“, weil er es besser weiß. Sondern weil ihn die absolute Gewissheit, mit der sich alle anderen auf die „neue Zeit“ einstimmen, zum Zweifel zwingt.
Diesen Bleimfeldner Karl hat Thomas Arzt ins Zentrum seines nun erschienenen Romans „Die Gegenstimme“ gestellt. Es ist seine erste längere Prosaarbeit. Bislang machte sich Arzt, Jahrgang 1983, als Theaterautor einen Namen. Mit Stücken wie „Grillenparz“ (2016 auch im Innsbrucker Treibhaus auf dem Spielplan), „Alpenvorland“ (2014 am Landestheater zu sehen) und „Johnny Breitwieser“ entwickelte er sich in den vergangenen Jahren von der Nachwuchshoffnung zur festen Größe: „Die Österreicherinnen“ kam 2019 am Tiroler Landestheater zur Uraufführung, „Hollenstein“ im Vorjahr am Landestheater Vorarlberg. Sein jüngster Theatertext, „Leben und Sterben in Wien“ soll in der kommenden Spielzeit in der Josefstadt Premiere haben.
Auch „Die Gegenstimme“ hätte das Zeug zum Bühnenstoff. Und das nicht nur, weil die altaristotelische Einheit von Raum, Zeit und Handlung gewahrt bleibt. Der Roman spielt an einem Tag, die Spannungskurve steigt, getaktet in knappen Kapiteln, exponentiell, von unheilschwangeren Vorahnungen und passiv-agressivem Geplänkel zur fanatischen Eskalation: Für den, der nicht mitmachen will, für den, der das Nest beschmutzt mit seinem Kreuz an der falschen Stelle, wird es schnell gefährlich. Lebensgefährlich. Dass die Geschichte darauf zusteuert, zeichnet sich schnell ab. Gerade diese Konsequenz macht „Die Gegenstimme“ beklemmend.
Konsequent und ungemein stimmig ist auch die sprachliche Form, die Thomas Arzt für sein Romandebüt gefunden hat: Er komponiert seine Sätze in einer dialektal gefärbten Kunstsprache: Bisweilen fehlen Verben, Endungen werden umgangssprachlich verschliffen, direkte Rede und begleitender Gedankenstrom fließen zusammen. Arzt verzichtet auf historisierenden Jargon. Es gibt keine effektvoll drapierte Patina, die Vorvorgestrigkeit bezeugt, kein Heldenpathos. Es ist nicht zuletzt diese kunstvoll inszenierte Unmittelbarkeit, die seinen Text auszeichnet. (jole)
📚 Roman Thomas Arzt: Die Gegenstimme. Residenz Verlag, 192 Seiten, 20 Euro.