Gesundheit

Die Wirkstoffe des Waldes als Rettungsanker für Gesundheit

Man muss nicht unbedingt joggen, um sich Gutes mit einem Aufenthalt im Wald zu tun – Forscher beschäftigen sich mit der Frage, welche Wirkung der Wald auf den Menschen hat.
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Was in Japan gut erforscht ist, wird nun auch in Österreich unter die Lupe genommen: Demnächst startet ein Projekt, das die Auswirkungen des Waldes auf die Gesundheit untersucht.

Von Liane Pircher

Innsbruck, Wien – In den letzten Jahren kam das Wort „Waldbaden“ vielen Menschen als eine Art modischer Wellnessbegriff unter. Von Japan ausgehend erfuhr die Welt, dass es der Gesundheit guttut, wenn man sich in Wald und Natur aufhält. Es wurde etwas wissenschaftlich erforscht, was vielen das Bauchgefühl ohnehin sagt: Wald tut gut. Der Biologe Clemens Arvay verwendet in diesem Zusammenhang lieber den Begriff „Waldmedizin“. Er ist es auch, der ab Juli auf österreichischem Boden in einem großen Feldversuch untersucht, wie sich der Aufenthalt im Wald auf das Immun-, Hormon- und Nervensystem auswirkt. Eine Feldforschung mit diesem Umfang hat es bis dato in keinem mitteleuropäischen Wald gegeben.

Zahl und Aktivität von natürlichen Killerzellen soll nach Waldaufenthalten steigen

Ort des Projekts ist ein Zirbenwald in der steirischen Naturpark-Region Zirbitzkogel. Es geht um bioaktive Pflanzenstoffe, um so genannte Pinene, die immunologische und auch hormonelle Auswirkungen haben. Bereits belegt ist etwa ein Rückgang von Stresshormonen nach Naturaufenthalten. Es konnte auch nachgewiesen werden, dass nach Waldaufenthalten im Gegensatz zu Stadtaufenthalten die Zahl und Aktivität der natürlichen Killerzellen – die fürs Immunsystem von immenser Bedeutung sind – stark ansteigen.

Dass ausgerechnet ein Zirbenwald verwendet wird, erklärt Arvay so: „Zirbenbestände nehmen wir deswegen, weil die Zirbelkiefer der am meisten alpha- und beta-pinen-haltige Baum in Europa ist. Diese Substanzen haben sich in Pilotstudien in Japan als immunaktiv herausgestellt.“ Die Zirbelkiefer sei für ihn nur der Anfang. „Biodiversität ist eines der großen Zukunftsthemen für die globale Gesundheit“, sagt Arvay. Daher möchte er auch noch in anderen europäischen Regionen den Zusammenhang zwischen Ökosystemen und dem Immunsystem erforschen – und ließ sich deshalb kürzlich zum European Professional Biologist zertifizieren. Vergeben wird das Zertifikat durch die European Countries Biologists Association, einen Zusammenschluss der nationalen Biologenverbände in Europa. Warum dieser Aufwand? „Weil es hier um Wissenschaft geht und nicht um Esoterik“, so Arvay. Im Focus ist das Thema Salutogenese.

Immunstärkende Faktoren verringern Infektionsrisiko

Einfach erklärt geht es hier um den Erhalt der Gesundheit und darum, welche Faktoren dafür eine Rolle spielen. Heißt: Was kann jeder Einzelne für seine Gesundheit tun? – „Viel“, antwortet der Innsbrucker Arzt, Psychologe und Wissenschafter Christian Schubert. Die Salutogenese friste bis dato eher ein Schattendasein in der Medizin, müsse aber dringend mehr berücksichtigt werden. Erst diese Woche berichtete etwa die deutsche Wochenzeitung Die Zeit, dass es einen Zusammenhang zwischen Immunsystem und dem Verlauf von Covid-19 gibt. Deutsche Studien würden belegen, dass durch immunstärkende Faktoren wie eine bessere Ernährung, Sport und genügend Schlaf das Infektionsrisiko verringert und schwere Krankheitsverläufe verhindert werden.

Es gibt zwar immer wieder Gegenstimmen, dass ein starkes Immunsystem keinen besseren Schutz biete, aber – so der Psychoneuroimmunologe Schubert: „Wer behauptet, dass das Immunsystem beim Infektionsrisiko keine wichtige Rolle spielt, der agiert anti-medizinisch. Es ist längst bewiesen, dass etwa chronischer Stress dazu führt, dass wesentliche Abwehrmechanismen im Körper runtergefahren werden. Körperliche und psychische Überforderungen führen so zu Infektanfälligkeit. Geht es dem Menschen hingegen psychisch gut, steigert das die Immunabwehr und den Infektionsschutz. Das ist evidenzbasiert.“

Dass es einen Zusammenhang zwischen Mensch, Gesundheit und intakter Natur (Stichwort Artenvielfalt) gibt, betont auch der 2019 gegründete Biodiversitäts-Rat. Dieser mahnt die Bundesregierung zuletzt in einem Schreiben, dass die Bekämpfung der Covid-19-Pandemie wichtig, aber keine isoliert zu betrachtende Sache sei. Im Sinne der Gesundheit müsse man möglichst viel Artenvielfalt retten und bewahren – dazu gehören gesunde Wälder für die Salutogenese aller.