Wiener Staatsoper

„La Traviata“: Das Sterben des It-Girls als hippes Luxusproblem

Pretty Yende als Violetta und Juan Diego Flórez als Alfredo in Simon Stones etwas arg zeitgeistiger „La Traviata“-Ausdeutung.
© Wiener Staatsoper

Die Wiener Staatsoper präsentierte eine ins Heute gepostete „La Traviata“. Pretty Yende überzeugt als Violetta.

Von Stefan Musil

Wien – Ein letzter Blick, ob nicht noch eine neue Nachricht gekommen ist. Dann wird das Smartphone abgedreht. Es wird bald wieder leuchten, aber auf der Bühne der Staatsoper, wo einen die Augen von Pretty Yende riesengroß anschauen, projiziert auf einen Kubus, der sich ziemlich laut knarzend den ganzen Abend drehen wird.

Wieder sind ein paar Zuschauer zugelassen, die in Echt erleben können, was Kameras und Mikrofone für TV, Stream und Radio einfangen. Sein Smartphone vermisst man dabei nicht, denn in der unbesorgt bunten, mit Paris koproduzierten Inszenierung von Simon Stone schickt Violetta als It-Girl und Influencerin ihre Nachrichten und Smileys in die Party-Nacht und um die Welt. Die öffnet sich im und auf dem sich drehenden Kubus. Vom Nachtclub über die Party mit Champagnerglasturm fürs „Trinklied“. Danach stärkt sich Violetta am Kebab-Stand, trällert ihre Verliebtheit ins Morgengrauen und checkt übers Phone das erste Date mit Alfredo. Der ist offensichtlich Immobilienentwickler, gehört zum Clan der schwerreichen Germonts.

Die beiden kommen zusammen und wollen ihre neue Liebe auf dem Land genießen. Dass es kein Happyend geben wird, hat man aus projizierten Mails erfahren: Nicht die Schwindsucht, aber Violettas Tumor ist zurückgekommen. Es schaut nicht gut aus.

Am Landgut herrscht kurze Idylle bei dem, was Super­reiche dort offenbar so tun: Alfredo stampft mit den Füßen seinen eigenen Wein und Violetta schupft das Heu auf den Traktor. Bis Alfredos Vater, Giorgi­o Germont, kommt.

Violetta soll den Sohn verlassen. Nicht weil sie etwa ein­e „wirkliche“ Prostituierte ist, wie es Verdi forderte, um der verlogenen Gesellschaft, den Spiegel vorzuhalten. Violetta soll gehen, weil sich sonst ein Investor aus Saudi-Arabien weigert, Alfredos Schwester zu heiraten. Big Deals drohen zu platzen. Und hier platzt auch Simon Stones Gegenwarts-Update, erleidet Absturz, verliert die dramaturgische Motivation. Die Saudis, nicht die Konventionen, sind also schuld am Scheitern der Beziehung. Geht sich nicht aus.

Aufzeichnung zum Nachsehen

La Traviata wurde am Sonntag­abend auf ORF III in der Reihe „Wir spielen für Österreich“ ausgestrahlt. Die Aufzeichnung ist bis Freitag auf tvthek.orf.at abrufbar. Ö1 sendet die Premierenproduktion am 20. März ab 19.30 Uhr.

Man versteht vielleicht die Absicht: Ansprechen von jüngeren Publikumsschichten. Doch ob die für ein paar Smiley­s die Oper stürmen?

Viel eher, weil die wunderbare Pretty Yende eine wirklich coole Violetta ist. Klar, auch sie hat ihre Problemzönchen in der gefinkelten „Sempre libera“-Cabaletta, aber sonst berührt ihr füllig leuchtender Sopran, macht sie ihre Violetta, am Chemo-Tropf hängend, zur bemitleidenswerten, rührenden Sympathieträgerin.

Juan Diego Flórez singt den Alfredo geschmeidig und wunderschön, nimmt selbst das hohe C am Ende seiner Cabaletta im Vorbeigehen. Allerdings klingt er im TV deutlich präsenter als live in der Oper. Prachtvoll lässt Igor Golovatenko seinen kernigen Bariton tönen, auch wenn er nicht gerade ein nobler Belcantist ist. Im Orchestergraben erweist sich Giacomo Sagripanti als verlässlich einfühlsamer Begleiter der Sänger, bleibt aber bezüglich orchestralem Glanz einer Neueinstudierung manches schuldig. Wird spannend, bis wann das Ablaufdatum dieser Produktion gilt.