Netanyahu könnte laut Prognosen Premier bleiben

Die rechtskonservative Likud-Partei des Regierungschefs Benjamin Netanyahu ist bei Israels vierter Parlamentswahl binnen zwei Jahren laut Prognosen stärkste Kraft geworden. Die Likud-Partei kam demnach am Dienstag auf 31 bis 33 Mandate, etwas weniger als bei der Wahl vor einem Jahr. Auf Platz zwei kam die Zukunftspartei des Oppositionsführers Yair Lapid. Netanyahu hat aber Chancen, eine Regierung zu bilden.

Dies hängt davon ab, ob sich die rechte, siedlerfreundliche Yamina-Partei auf Netanyahus Seite schlägt. Deren Vorsitzender Naftali Bennett war zwar mit dem Ziel in den Wahlkampf gegangen, Netanyahu abzulösen. Er hat allerdings auch nicht ausgeschlossen, in eine Koalition mit diesem einzutreten. Bennett sagte am Abend in einer ersten Reaktion: „Ich werde nur das tun, was für den Staat Israel gut ist.“

Netanyahu sprach von einem „Riesensieg“. Seine Likud-Partei führe mit einem „immensen Abstand“ vor Lapids Yesh Atid (Es gibt eine Zukunft), schrieb Netanyahu bei Twitter. Er dankte den Bürgern Israels. „Ihr habt der Rechten und dem Likud unter meiner Führung einen Riesensieg beschert.“ Es sei deutlich geworden, dass eine Mehrheit der Israelis eine „starke und stabile Rechtsregierung“ wollte.

Mit Yamina würde der Netanyahu-Block den Prognosen zufolge eine Mehrheit von 61 von 120 Abgeordneten erreichen. Konkret wären dies außerdem die strengreligiösen Parteien Shas, Vereinigtes Thora Judentum und die religiösen Zionisten. Eine Regierungsbildung könnte sich jedoch lange hinziehen. Mit dem vorläufigen Endergebnis könnte sich das Bild noch deutlich verschieben. Es wird nicht vor Freitag erwartet.

Wegen der coronabedingten Umstände der Wahl dauert es diesmal damit länger. So soll die Auszählung der sogenannten doppelten Umschläge mit Stimmen von Soldaten, Diplomaten, Häftlingen und Corona-Kranken erst Mittwochabend beginnen. Einem Medienbericht zufolge wird sich deren Zahl, die bei der Wahl vor einem Jahr noch 330.000 betragen hatte, diesmal fast verdoppeln. Dies entspricht demnach etwa 15 der 120 Mandate.

Nach den Prognosen übersprangen insgesamt zwölf Parteien die für den Einzug in die Knesset nötige Hürde von 3,25 Prozent. Die meisten kamen auf einstellige Mandatszahlen. Die traditionsreiche Arbeiterpartei erreichte laut Prognosen sieben Mandate, die Partei Neue Hoffnung des früheren Parteikollegen Netanyahus, Gideon Saar, kam nur auf sechs Sitze. Gar nicht ins Parlament schaffte es demnach die islamistische Raam (UAL), die einer Zusammenarbeit mit Netanyahu nicht abgeneigt war. Den gesamten Wahltag über hatte sich eine geringe Beteiligung an der Abstimmung abgezeichnet.

Netanyahu ist seit 2009 durchgängig Ministerpräsident und der am längsten amtierende Regierungschef des Landes. Viele junge Israelis kennen keinen anderen. Im Wahlkampf wollte Netanyahu mit der Annäherung Israels an arabische Golfstaaten punkten. Darüber hinaus präsentierte er sich als Urheber der rasanten Impfkampagne in dem Land.

„Netanyahus Wahlsieg kam vom Impfprogramm“, analysierte die „Jerusalem Post“ das Wahlergebnis am Dienstagabend. „Pfizers Impfstoffe retteten Israel - und retteten unbeabsichtigterweise auch den Premierminister.“ Am Dienstag hatten fast 5,2 Millionen Israelis mindestens eine Dosis des Corona-Impfstoffs erhalten, kurz vor der Wahl wurden Lokale, Fitnesscenter, Stadien und Theater wieder geöffnet. „Israelis haben ein kurzes Gedächtnis“, schrieb die Journalistin Maayan Jaffe-Hoffman. Das Impfprogramm habe offenbar die Unzufriedenheit vieler mit Netanyahus Pandemiemanagement überschattet, trotz 6.000 Toter und rund 700.000 Arbeitsloser.

Israel befindet sich seit mehr als zwei Jahren in einer politischen Dauerkrise. Nach zwei Wahlen 2019 war es Netanyahu nicht gelungen, eine Regierung zu bilden. Nach der Wahl 2020 hatten er und sein Likud unter dem Eindruck der Corona-Krise eine Koalition mit dem Mitte-Bündnis Blau-Weiß gebildet, sie zerbrach jedoch im Dezember an einem Budgetstreit.

Die Parteienlandschaft in Israel ist stark zersplittert und interessengeleitet. Auch wenn sie einem Lager entstammen, sind Parteien häufig nicht bündniskompatibel. Neben programmatischen Differenzen liegt dies auch an persönlichen Animositäten. Netanyahus Verhältnis zu anderen Hauptfiguren des rechten Lagers wie Bennett, Gideon Saar und Avigdor Lieberman gilt als schwierig.

Hinzu kommt eine niedrige Prozenthürde, die für den Einzug ins Parlament übersprungen werden muss. Sie liegt bei 3,25 Prozent, in Österreich dagegen etwa bei 5. Die letzte Regierung setzte sich zusammen aus mehr als einem halben Dutzend Parteien und vereinzelten Knesset-Abgeordneten. Das Kabinett war entsprechend stark aufgebläht. Es bestand aus mehr als 30 Ministerinnen und Ministern.

Nach Angaben der israelischen Armee wurde am frühen Abend eine Rakete auf Israel abgefeuert. Opfer oder Sachschäden gab es demnach nicht. Medienberichten zufolge ging das Geschoß in der Region um Beersheva nieder. In der Stadt habe sich zu der Zeit Netanyahu aufgehalten.