Verwirrung um große Menge AstraZeneca-Impfstoff in Italien
Vor dem Hintergrund des Streits der EU mit AstraZeneca hat der Fund von 29 Millionen Dosen Corona-Impfstoff in einer Abfüllstätte in Italien für Verwirrung gesorgt. Der britisch-schwedische Pharmakonzern wies am Mittwoch Medienberichte zurück, wonach der bei einer Kontrolle gefundene Impfstoff illegal nach Großbritannien exportiert werden sollte. 16 Mio. der gefundenen Dosen sind demnach für die EU bestimmt, die restlichen 13 Mio. für die internationale Impfinitiative COVAX.
Italienische Behörden hatten am Wochenende auf Initiative der EU-Kommission ein Werk des Pharmazie-Dienstleisters Catalent bei Rom durchsucht und dabei den Impfstoff entdeckt. Das hatte unter anderem in Frankreich für Unmut gesorgt, zumal in der EU ohnehin schon das Misstrauen gegenüber AstraZeneca groß ist. Der Konzern hinkt bei den für die EU zugesagten Lieferungen deutlich hinterher, was viele Kritiker als einen Grund für den teils schleppenden Verlauf der hiesigen Impfkampagnen sehen.
„Wir hatten den Verdacht, dass Astrazeneca über mehr Produktionskapazität in Europa verfügte, als sie angegeben hatten“, sagte ein EU-Vertreter in Brüssel. EU-Industriekommissar Thierry Breton habe deshalb die italienischen Behörden gebeten, das Werk in Anagni bei Rom zu inspizieren. Der italienische Regierungschef Mario Draghi bestätigte am Mittwoch zudem, dass er am Samstag einen Anruf von der Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, erhalten habe. Dieser führte dazu, dass Gesundheitsminister Roberto Speranza am Samstagabend die Inspektion in Anagni angeordnet habe.
AstraZeneca wies die von italienischen Medien kolportierten Vorwürfe zurück, es seien in einer Abfüllstation Impfdosen „versteckt“ oder heimlich für illegalen Export gehortet worden. „Sämtliche Impfstoffdosen sind im Werk gelagert, um nach der obligatorischen Qualitätskontrolle versandt zu werden“, hieß es am Nachmittag in einer Mitteilung.
AstraZenca stellte die kolportierten Pläne zum Export von Impfstoffen nach Großbritannien in Abrede. „16 Millionen Dosen davon sind für Europa bestimmt. Knapp 10 Millionen Dosen werden nächste Woche an die EU-Länder geliefert, der Rest nach Abschluss der entsprechenden Kontrollen im April. Die restlichen 13 Millionen Dosen sind im Rahmen der Verpflichtung von AstraZeneca für die, auch von der EU unterstützte COVAX-Initiative für den Versand an Länder mit niedrigem Einkommen reserviert.“
Catalent erklärte am Mittwoch, die Lagerung von 29 Millionen Impfdosen in dem Werk sei nicht ungewöhnlich. Manchmal habe man dort auch mehr. In der Fabrik werden Impfstoffe abgefüllt, die aus dem Werk AstraZeneca-Auftragszulieferers Halix in den Niederlanden und eines Zulieferers aus Belgien kommen. Laut AstraZeneca wird dort zudem Impfstoff abgefüllt, der von außerhalb der EU kommt. Die beiden Zulieferer sind in einem Vertrag zwischen der EU und AstraZeneca mit als diejenigen aufgelistet, aus denen die EU beliefert werden soll.
Allerdings hat das Werk in Halix noch keine EU-Zulassung. Vorher darf der dort hergestellte Impfstoff nicht in der EU verwendet werden. Nach Angaben aus EU-Kreisen ist mit der Zulassung in den kommenden Tagen zu rechnen. Warum AstraZeneca nicht schon früher um eine Genehmigung ersucht hat, war unklar. Der Konzern wollte sich dazu nicht äußern. Eigentlich hatte AstraZeneca der EU bis Ende Juni die Lieferung von 300 Millionen Einheiten des Impfstoffs zugesagt. Zuletzt hatte der Konzern dies aber auf 100 Millionen gekappt.
Die EU will aktuell schärfe Regeln auf den Weg bringen, mit denen sie die Ausfuhr von Covid-19-Impfstoffen aus der EU im Zweifelsfall blockieren kann. Am Mittwoch hatte ein Berater des französischen Präsidenten Emmanuel Macron gesagt, die EU sollte im Kampf gegen das Virus kein „zweckdienlicher Idiot“ sein, indem sie Vakzine exportiere, während andere Länder Vorräte für sich behielten. „Wir haben viel exportiert, wir haben uns an die Regeln gehalten. Von einigen unserer Partner lässt sich das nicht sagen“, hatte er erklärt. Die Kritik richtet sich vorrangig gegen Großbritannien und die USA.
Unklarheit bestand außerdem über die Herkunft des in Italien abgefüllten Impfstoffs. „Wir müssen jetzt überprüfen, ob der Wirkstoff in diesen Impfstoffen in der EU in von der EMA zugelassenen Anlagen hergestellt wurde“, sagte ein EU-Vertreter. AstraZenca erklärte später, dass zumindest der Impfstoff für die 13 Millionen COVAX-Dosen nicht in der EU produziert worden sei.
„Der Impfstoff wurde außerhalb der EU hergestellt und zum Werk in Anagni gebracht, um in Ampullen abgefüllt zu werden. Die EU unterstützt voll und ganz die Versorgung von Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen durch die COVAX-Initiative“, wurde seitens des britisch-schwedischen Impfstoffkonzerns betont.
Es sei aber „nicht korrekt, dies als einen Vorrat zu bezeichnen.“ Der Prozess der Herstellung von Impfstoffen sei sehr komplex und zeitaufwendig. Insbesondere müssten die Vakzindosen auf die Freigabe durch die Qualitätskontrolle warten, nachdem die Abfüllung der Fläschchen abgeschlossen sei, hieß es weiter.
Astrazeneca produziert auch in Werken in Asien, die bisher nicht für die EU-Produktion zugelassen sind. Im Streit um die Lieferverzögerungen war zuletzt auch eine Produktionsstätte des Unternehmens im niederländischen Leiden in den Fokus geraten. Dort darf bisher nicht für die EU produziert werden, weil eine entsprechende Genehmigung noch nicht beantragt wurde.
Die italienische Zeitung „La Stampa“ hatte zuvor von 29 Millionen Impfdosen berichtet, die angeblich für den Export nach Großbritannien bestimmt seien und in dem Werk in Italien gelagert würden. Das hatte zu Verwunderung geführt, weil Astrazeneca zuletzt seine Lieferzusagen an die EU mehrfach gekürzt hatte. Die italienische Regierung bestätigte am Mittwoch die Kontrolle, über welche die Tageszeitung „La Stampa“ berichtet hatte. Die Kontrollen seien am Samstag und Sonntag erfolgt und von der Carabinieri-Einheit NAS durchgeführt worden, teilte die Regierung in Rom mit.
AstraZeneca hatte seine Lieferungen an die EU einseitig drastisch gekürzt: Statt der ursprünglich avisierten 120 Millionen Impfdosen sollen im ersten Quartal nur 30 Millionen kommen, im zweiten Quartal 70 Millionen statt 180 Millionen Dosen.
Catalent befüllt im Auftrag des britisch-schwedischen Impfstoffherstellers AstraZeneca Ampullen mit dem Anti-Covid-Impfstoff. Anfang März hatte Rom eine Lieferung mit 250.000 Impfdosen des Herstellers AstraZeneca an Australien gestoppt, die in Italien produziert worden waren. Italiens Premier Draghi hatte die EU-Kommission zu hartem Durchgreifen gegen Pharmakonzerne aufgerufen, die ihren Verpflichtungen mit der EU zur Lieferung von Impfstoffen nicht nachkommen.
Am Mittwoch erklärte Draghi, dass zwei Chargen des Astrazeneca-Impfstoffes aus dem kontrollierten Betrieb am Mittwoch in Richtung Belgien geschickt worden seien wo sich der Hauptsitz des Pharmakonzerns befindet. „Wo diese Chargen danach geliefert werden sollen, weiß ich nicht. Jedenfalls stehen die anderen Chargen unter Aufsicht“, sagte Draghi in einer Ansprache vor der Abgeordnetenkammer am Mittwoch.