EU-Spitze trifft Erdogan zu Gesprächen in die Türkei
Erstmals seit einem Jahr sind EU-Spitzenvertreter mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zusammengetroffen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel trafen sich in Ankara mit Erdogan. Man sei bereit, mit ihm die Zukunft der Beziehungen zwischen der EU und der Türkei zu besprechen, schrieb Michel am Mittwoch auf Twitter. „Um eine konstruktivere Agenda aufzubauen, ist eine dauerhafte Deeskalation erforderlich.
Hintergrund des Gesprächs mit Erdogan sind Beschlüsse des EU-Gipfels vor eineinhalb Wochen. Die Staats- und Regierungschefs hatten sich darauf verständigt, die Beziehungen zur Türkei schrittweise wieder auszubauen. So beginnen unter anderem die Vorbereitungen für Verhandlungen einer Ausweitung der Zollunion.
Mit den Beschlüssen soll der Türkei ein Anreiz gegeben werden, konstruktiv nach einer Lösung von Konflikten mit Griechenland und Zypern zu suchen, wie etwa im Streit um Erdgasvorkommen im östlichen Mittelmeer. Die EU hatte der Türkei wegen des Konflikts im vergangenen Dezember scharfe Sanktionen angedroht. Daraufhin beendete das Land die umstrittenen Erdgaserkundungen und signalisierte Gesprächsbereitschaft.
Warnungen vor einem Entgegenkommen gegenüber Erdogan kamen vor dem Treffen aus dem EU-Parlament und dem deutschen Bundestag. Die EU sei nicht bereit, einer „Erpressung“ durch Erdogan nachzugeben, erklärte der Fraktionsvorsitzende der konservativen EVP, Manfred Weber (CSU), auf Twitter. Im „Tagesspiegel“ forderte er, mögliche Visa-Erleichterungen an die Medienfreiheit und den Schutz der Grundrechte zu knüpfen.
Die Linken-Außenpolitikerin Sevim Dagdelen verlangte eine härtere Gangart gegenüber der Türkei. In der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ kritisierte sie den EU-Besuch bei Erdogan scharf. „Die EU-Spitzen setzen mit ihrer privilegierten Partnerschaft mit der Türkei das ganz falsche Signal“, sagte die Bundestagsabgeordnete. Die „nachösterliche Pilgerfahrt nach Ankara“ stärke „dem Autokraten“ Erdogan den Rücken. Mit der in Aussicht gestellten Erweiterung der Zollunion gebe die EU „Erdogan freie Hand zur weiteren Unterdrückung der Opposition sowie für seine kriegerische Außenpolitik“.
Auch der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Alexander Graf Lambsdorff sah in der Reise der EU-Spitzenvertreter „das falsche Signal“. Es sei „nicht der Zeitpunkt, die Politik des türkischen Staatspräsidenten Erdogan mit PR-kräftigen Bildern zu belohnen“, erklärte er. Dieser sei gerade erst aus der Istanbul-Konvention zum Schutz von Frauen vor Gewalt ausgetreten und lasse die Arbeit von Opposition und Journalisten massiv behindern.
Die Grünen warnten ebenfalls vor einer „freundschaftlichen Annäherung“ und wirtschaftlichen Zugeständnissen an die Türkei. Angesichts „der sich dramatisch zuspitzenden desolaten Menschenrechtslage in der Türkei, dem autokratischen Umbau des Landes und der abenteuerlichen Außenpolitik von Präsident Erdogan“ sei dies „ein unverantwortlicher und grundfalscher Kurs“, erklärten die Grünen-Politiker Claudia Roth und Cem Özdemir. Ein Entgegenkommen bei Zollunion und Visa-Liberalisierung könne es nur „mit klaren, unumkehrbaren Verbesserungen im Bereich der Menschenrechte“ geben.
Ein EU-Vertreter hatte vor dem Besuch gesagt, das Treffen mit Erdogan sei „kein Moment der Verhandlungen“. Es sei vielmehr eine Gelegenheit für beide Seiten, ihre Vorstellungen von den künftigen Beziehungen darzulegen. Von der Leyen und Michel wollen sich nach dem Treffen am Nachmittag (15.30 Uhr MESZ) in Ankara äußern.
Kritik an dem Besuch äußerte auch die FPÖ. Die Angebote der EU seien „völlig unangebracht und absurd, da die Türkei über mehrere Jahre hinweg bewiesen hat, dass sie kein verlässlicher Partner ist“. Anstatt mit einer neuen Angebotsliste hätten die Verantwortlichen mit einer Sanktionsliste in die Türkei reisen sollen. „Alle Maßnahmen die in Richtung EU-Beitritt gehen, müssen jedenfalls umgehend beendet werden“, forderte die freiheitliche Europasprecherin Petra Steger.
Frauenministerin Susanne Raab (ÖVP) kritisierte erneut den Austritt der Türkei aus der Istanbul-Konvention gegen Gewalt an Frauen. Sie appellierte am Dienstag bei einer EU-Konferenz an die EU-Staaten, gemeinsam für die Sicherheit von Frauen und Mädchen zu kämpfen.