USA verteidigen Afghanistan-Rückzug gegen Kritik

US-Außenminister Antony Blinken hat die Entscheidung von Präsident Joe Biden verteidigt, die amerikanischen Soldaten bis zum 11. September aus Afghanistan abzuziehen. Man habe gemeinsam mit den Verbündeten die Ziele erreicht, die man sich gesteckt habe, sagte er am Mittwoch am Rande eines Gespräches mit NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg in der Bündniszentrale in Brüssel. Zuvor hatte es aus Afghanistan scharfe Kritik an der Rückzugsentscheidung gegeben.

Es sei das „Verantwortungsloseste und Egoistischste“, was Amerika seinen afghanischen Partnern habe antun können, sagte ein Mitglied des Verhandlungsteams bei den Friedensgesprächen in Doha, der namentlich nicht genannt werden wollte, der Deutschen Presse-Agentur.

Am Dienstag war bekannt geworden, dass die USA als größter Truppensteller in Afghanistan ihre Soldaten ohne weitere Bedingungen zum 11. September abziehen wollen. Als Hauptziel des NATO-Einsatzes in Afghanistan galt, dass das Land nie wieder ein Rückzugsort für Terroristen wird, die NATO-Länder angreifen können. Blinken war nach Brüssel gereist, um bei den NATO-Partnern um Verständnis für die Rückzugsentscheidung zu werben.

Die NATO-Verteidigungsminister wollten am Mittwoch in einer Online-Sitzung über den Afghanistan-Abzug beraten. Die deutsche Ressortchefin Annegret Kramp-Karrenbauer machte im Vorfeld klar, dass bei einem US-Abzug auch die rund 1.000 deutschen Soldaten das Land verlassen werden. „Wir haben immer gesagt: Wir gehen gemeinsam rein, wir gehen gemeinsam raus“, sagte sie am Mittwoch im ARD-“Morgenmagazin“. „Ich stehe für einen geordneten Abzug. Und deswegen gehe ich davon aus, dass wir das heute so beschließen werden.“

Zurzeit sind etwa 10.000 Soldaten aus NATO-Ländern und Partnernationen, darunter Österreich, in Afghanistan. Das Bundesheer beteiligt sich aktuell mit 16 Soldaten an der Mission „Resolute Support“ (RSM). Die internationalen Soldaten sollen die demokratisch gewählte Regierung durch die Ausbildung und Beratung von Sicherheitskräften in ihrem Kampf gegen islamistische Extremisten wie die Taliban unterstützen.

Am Dienstag war bekannt geworden, dass US-Präsident Joe Biden bis zum 11. September 2021 alle US-Soldaten aus Afghanistan abziehen will. Der Stichtag fällt genau auf den 20. Jahrestag der islamistischen Anschläge vom 11. September 2001, die der Anlass für den längsten Kriegseinsatz der USA waren.

Biden steht unter Druck, rasch über einen Fahrplan für einen Abzug der US-Soldaten zu entscheiden, weil davon auch der Einsatz anderer internationaler Truppen in Afghanistan abhängt. Unter Bidens Vorgänger Donald Trump hatte Washington mit den Taliban einen Abzug bis zum 1. Mai vereinbart. Im Gegenzug gingen die Taliban mit der Regierung in Kabul direkte Friedensgespräche ein, die seit September im Golfemirat Katar laufen. Diese brachten allerdings bisher kaum nennenswerte Fortschritte.

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Ein US-Regierungsvertreter sagte laut Nachrichtenagentur dpa, der Abzug werde mit den NATO-Partnern koordiniert. Man sei gemeinsam nach Afghanistan gegangen, und „wir sind darauf vorbereitet, gemeinsam wegzugehen“. Der Abzug sei nicht an Bedingungen geknüpft, weil ein solcher Ansatz nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre dazu führe, „für immer in Afghanistan zu bleiben“. Der US-Regierungsvertreter betonte, der 11. September sei das späteste Datum, um den Abzug abzuschließen - das Ziel könne aber auch deutlich vorher erreicht werden. Danach sollten nur noch Soldaten zum Schutz der US-Diplomaten in Afghanistan im Land verbleiben.

Die Aufständischen hatten zuletzt neue Gewalt gegen NATO-Truppen angedroht, sollte die Frist bis zum 1. Mai nicht eingehalten werden. Der US-Regierungsvertreter warnte die Taliban vor Angriffen auf ausländische Truppen während des Abzugs. In einem solchen Fall würden die USA hart zurückschlagen, drohte er. Mit Blick auf die Frauenrechte in Afghanistan fügte er hinzu, die USA würden sich mit allen diplomatischen, humanitären und wirtschaftlichen Mitteln für deren Schutz einsetzen.

Nach offiziellen Angaben befinden sich derzeit noch rund 2.500 US-Soldaten in Afghanistan. Zum Höhepunkt vor zehn Jahren waren es rund 100.000 amerikanische Soldaten. Die Afghanistan-Entscheidung gehört zu den heikelsten, die Biden in seiner jungen Amtszeit treffen musste. Beide Optionen - Rückzug oder Verbleib - gelten als riskant. Eine vom US-Kongress eingesetzte Expertengruppe empfahl in einem Bericht im Februar, dass die US-Regierung im Doha-Abkommen verbleibt, die Truppen aber nicht zum 1. Mai abzieht, sondern erst dann, wenn die Taliban ihre Verpflichtungen erfüllt haben.

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