Deutsche Unions-Parteien in Kanzlerfrage weiter uneins

Der seit Tagen festgefahrene Machtkampf zwischen dem CDU-Vorsitzenden Armin Laschet und CSU-Chef Markus Söder um die Kanzlerkandidatur für die deutschen Unions-Parteien hat sich am Sonntag weiter zugespitzt. Die von beiden genannte Frist für eine Einigung endete am Sonntag. Sollten sich die Rivalen bis spätestens diesen Montag nicht doch noch einigen, könnte es auf eine Entscheidung in der Bundestagsfraktion der Schwesterparteien am Dienstag hinauslaufen.

Söder landete allerdings am Sonntagabend mit einem Privatflugzeug aus Nürnberg in Berlin, wie die Sender und der Bayerische Rundfunk sowie die „Bild“-Zeitung übereinstimmend berichteten. Ob Söder in Berlin mit Laschet oder anderen Politikern zusammentraf, blieb zunächst unklar.

Über den Verlauf der streng geheimen Beratungen zwischen Söder und Laschet drangen zuvor am Sonntag weiter keine Details an die Öffentlichkeit. Aus Unions-Kreisen war nur zu hören, Laschet und Söder seien in guten und konstruktiven Gesprächen. Unterdessen erhielten beide Rivalen das gesamte Wochenende über Unterstützung aus ihren jeweiligen Lagern.

Der Berliner CDU-Landeschef Kai Wegner sprach sich für Söder als Unions-Kanzlerkandidat aus. Das Stimmungsbild sei in der Partei eindeutig für den CSU-Chef, sagt Wegner im Sender ARD nach einer Schaltung des Vorstands des Berliner Landesverbandes. Dabei hatten sich die Mitglieder bis auf zwei Enthaltungen für Söder ausgesprochen. „Es gibt eine große Sehnsucht nach Markus Söder.“ CDU-Chef Armin Laschet sei dennoch ein guter Parteichef. Wegner lehnt eine Sondersitzung des CDU-Bundesvorstands zur Unterstützung Laschets ab. „Das ist Quatsch.“ Wenn sich die beiden Parteichefs nicht einigten, müsse die CDU/CSU-Bundestagsfraktion am Dienstag entscheiden.

Der niedersächsische CDU-Chef Bernd Althusmann rief die Mitglieder seines Landesvorstands sowie die Bezirks- und Kreisvorsitzenden nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur für Sonntag um 20.00 Uhr zu Online-Beratungen zusammen. Er begründete die Sondersitzung mit „der aktuellen Lage zur K-Frage“. Es wurde erwartet, dass es um ein Stimmungsbild gehen dürfte, ob die Basis in der Frage der Kanzlerkandidatur zu Laschet oder zu Söder tendiert. Die Christdemokraten (CDU) haben 325 Kreisverbände, 27 Bezirks-, 17 Landes- und über 10.000 Ortsverbände.

In vielen Kreisverbänden hatte es am Wochenende Abstimmungen gegeben. So teilte etwa der CDU-Kreisverband Alzey-Worms in Rheinland-Pfalz mit, dass bei einer schriftlichen Abstimmung 82,9 Prozent der Mitglieder für Söder und 6,6 Prozent für Laschet gestimmt hatten, obwohl Söders Christsoziale (CSU) nur in Bayern, die CDU in allen anderen 15 deutschen Bundesländern antritt, aber nicht in Bayern. 10,5 Prozent hielten demnach keinen der beiden Kandidaten für geeignet. Der CDU-Kreisvorsitzende Markus Conrad und der CDU-Bundestagsabgeordnete Jan Metzler forderten das CDU-Präsidium und den Bundesvorstand auf, „das überwältigende Votum der CDU-Basis, das - wie alle Umfragen belegen - in die gleiche Richtung geht und der Stimmung in vielen anderen Kreisverbänden entspricht, nicht zu ignorieren.“

Der Parteinachwuchs, die Junge Union (JU), steht mit großer Mehrheit hinter Söder. In einer Videokonferenz der Landesvorsitzenden am Sonntagabend sprachen sich nach JU-Angaben 14 Landesverbände mit deutlicher Mehrheit für Söder aus. Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein als mittelgroße Verbände sowie Brandenburg hätten von einem „gemischten Stimmungsbild“ berichtet. Die Junge Union Nordrhein-Westfalen, die mehr als ein Viertel aller JU-Mitglieder stellt, sprach sich für CDU-Chef Laschet als Kanzlerkandidat aus. Die JU hat 18 Landesverbände.

„Wir sind der festen Überzeugung, dass wir zwei sehr erfolgreiche Ministerpräsidenten zur Auswahl haben, die beide Kanzler können“, sagte der JU-Bundesvorsitzende Tilman Kuban und forderte: „Beide müssen endlich ihrer Verantwortung für die Union gerecht werden.“ „Die beiden Kandidaten hatten genug Zeit, zu einer Entscheidung zu kommen. Dies ist nicht geschehen, und jetzt sehen wir uns gezwungen, uns zu positionieren. Dies ist mit deutlicher Mehrheit für Markus Söder erfolgt“, sagte Kuban. „Die Würfel müssen jetzt schnell in den gemeinsamen Gesprächen fallen und dann ziehen wir gemeinsam in den Wahlkampf, denn der Gegner steht außerhalb der Union“, sagte Kuban weiter. Nur gemeinsam als Union werde man die Wahl gewinnen. „Ich kann die beiden Parteivorsitzenden nur daran erinnern, dass sie eine Verantwortung für die Einheit der Union haben. Diese Verantwortung ist historischen Ausmaßes und muss hinter persönlichem Ehrgeiz zurückstehen“, mahnte der JU-Vorsitzende.

Unions-Fraktionsvize Carsten Linnemann (CDU) warnte vor einer Kampfabstimmung in der Fraktion. „Was wir jetzt brauchen, ist eine gemeinsame Lösung und keine Kampfabstimmung in der Fraktion. Ansonsten drohen Gräben aufgerissen zu werden, die sich nur schwer wieder zuschütten lassen“, sagte er der Funke Mediengruppe. Zuvor hatte auch der im Kampf um den CDU-Vorsitz unterlegene Friedrich Merz vor dem Szenario gewarnt und sich hinter Laschet gestellt.

Der Hamburger CDU-Chef Christoph Ploß sagte der „Rheinischen Post“ (Sonntag): „Ich erwarte von den Parteivorsitzenden, dass sie bis morgen eine gemeinsame Lösung präsentieren. Diese werden wir als Hamburger Landesverband geschlossen mittragen und unterstützen.“ Sollte es zum Wochenstart keine Entscheidung geben, müsse die Fraktion als einziges gemeinsames Unions-Gremium entscheiden.

Möglicherweise könnte es an diesem Montag aber auch noch eine Sondersitzung des CDU-Vorstands zur sogenannten K-Frage geben. Bis zum Sonntagnachmittag gab es dazu nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur aber noch keine Einladung.

Am vergangenen Sonntag hatten sich sowohl Laschet als auch Söder zur Übernahme der Kanzlerkandidatur bereit erklärt. Am Montag stellten sich die Spitzengremien von CDU und CSU jeweils hinter ihre Parteichefs. Am Dienstag traten beide in der Bundestagsfraktion auf, wo es Dutzende Wortmeldungen gab - nach Teilnehmerangaben mehr zugunsten Söders als für Laschet. Beide stellten anschließend eine Verständigung bis Ende der Woche in Aussicht.

Der CDU-Arbeitnehmerflügel CDA unterstützte am Wochenende Laschet. CDA-Chef Karl-Josef Laumann, der in Laschets Kabinett in Nordrhein-Westfalen Landes-Sozialminister ist, sagte der „Bild am Sonntag“: „Armin Laschet ist der richtige Kanzlerkandidat der Union, weil er eine Politik der Mitte und des Ausgleichs verkörpert.“

Auch der Chef der Arbeitnehmergruppe in der Fraktion, Uwe Schummer (CDU), plädierte in den Zeitungen der Funke Mediengruppe für Laschet. „Umfragen sind flüchtig wie Sand“, sagte der Nordrhein-Westfale mit Blick auf Söder, der bei seinen Ambitionen unter anderem auf die seit langem guten Werte für ihn verweist. Der Arbeitnehmergruppe gehören rund 80 Abgeordnete aus CDU und CSU an.

Der Europaabgeordnete Dennis Radtke, der die Gründung einer CDU in Bayern ins Spiel gebracht hatte, bekommt nach eigenen Angaben dafür sogar Zustimmung aus der CSU. „Die Reaktionen sind 50 Prozent Zustimmung, 50 Prozent Ablehnung“, sagte er der Funke Mediengruppe. Seit Jahrzehnten gilt eigentlich, dass CDU und CSU nicht in Konkurrenz treten wollen. Die CSU nimmt daher nicht an Wahlen außerhalb Bayerns teil, die CDU ist nicht in Bayern aktiv.

Der CDU-Vorsitzende von Thüringen, Christian Hirte, sprach sich mit Blick auf die Umfragezahlen hingegen indirekt für Söder aus. Auch der CDU-Politiker Christean Wagner, Mitgründer des konservativen „Berliner Kreises“ in der Union plädierte für Söder. Er sagte der „Heilbronner Stimme“ (Montag): „Die Entscheidung, wer für die Union als Kanzlerkandidat antritt, muss unter dem Gesichtspunkt der Erfolgsaussichten getroffen werden.“ Das spreche für Söder.

Der Chef der Senioren-Union der CDU, Otto Wulff, plädierte für Laschet. „Ich halte nichts davon, Politik auf Basis von Tagesmeinungen zu machen oder den Kanzlerkandidaten nach den Umfragen auszuwählen“, sagte er der dpa. „Wir müssen aus Überzeugung handeln. Und die Führungsgremien der CDU sind, wie ich auch, davon überzeugt, dass Laschet der richtige Kanzlerkandidat für die Union ist.“

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich warf der Union unterdessen vor, die Corona-Politik während der Debatte um die Kanzlerkandidatur zu vernachlässigen. Der „Bild am Sonntag“ sagte er: „Es ist wirklich erschreckend, was unser Koalitionspartner treibt. Tag um Tag vertändeln CDU und CSU leichtfertig mit ihrem internen Streit um Macht und Eitelkeiten, statt sich um die wichtigen Dinge zu kümmern.“