Amnesty will Ende der Gesichtserkennung in Österreich

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) fordert das Verbot von Gesichtserkennungstechnologie zur Strafverfolgung in Österreich. Sie sei ein „massiver Eingriff in das Recht auf Privatsphäre“ und könne Menschen von der Teilnahme an Demonstrationen abschrecken, bedrohe somit das Recht auf Versammlungs- und Meinungsäußerungsfreiheit. Der „Bildabgleich“ komme bei Demos nicht zum Einsatz, hieß es von der Exekutive, sondern allenfalls bei Ermittlungen danach.

„Der Einsatz von Gesichtserkennungstechnologie ist gefährlich und birgt mehr Gefahren, als ihr Nutzen für die Sicherheit der Menschen rechtfertigen kann“, kritisierte die Organisation, die am Dienstag die Kampagne „Dein Gesicht gehört dir: Stoppt Gesichtserkennung in Österreich“ startete. „Unsere Sicherheit ist ein hohes Gut, das der Staat schützen muss. Der Einsatz von Gesichtserkennungstechnologie macht die Menschen in Österreich jedoch nicht viel sicherer, aber sehr viel unfreier. Für Erleichterungen in der polizeilichen Ermittlungsarbeit zahlen wir alle einen zu hohen Preis. Gesichtserkennung bedroht unsere Rechte in einem Maß, das ihr Nutzen nicht aufwiegen kann“, so Annemarie Schlack, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich.

Der „Digitale Bildabgleich“ komme ausschließlich nach Begehung einer vorsätzlichen Straftat eines unbekannten Täters zum Einsatz, sagte Silvia Kahn, Sprecherin des Bundeskriminalamts (BK). Sollten nach einer Tat Lichtbilder eines Täters von Überwachungskameras, Handyaufnahmen usw. vorhanden sein, werden sie mit Bildern der Erkennungsdienstlichen Evidenz (EDE) abgeglichen. In dieser Datenbank seien nur Personen gespeichert, die wegen gerichtlich strafbarer Vorsatztaten erkennungsdienstlich behandelt wurden.

Die Rechtsgrundlage für die Ermittlung bzw. Sicherstellung dieser Fotos oder Videos sei die Strafprozessordnung (Paragraf 110 StPO). Die Verwendung des „Digitalen Bildabgleichs“ ist in Paragraf 75 Sicherheitspolizeigesetz (SPG) geregelt, Voraussetzung ist der Verdacht einer vorsätzlichen gerichtlich strafbaren Handlung. „Daher erfolgt keine Verwendung des Digitalen Bildabgleichs bei laufenden Demonstrationen, sondern ausschließlich im Rahmen von Ermittlungen zur Aufklärung vorsätzlicher gerichtlich strafbarer Handlungen, die allenfalls auch im Zusammenhang mit Demonstrationen begangen wurden“, so die Sprecherin. „Eine Echtzeitüberwachung durch Online-Zugriffe auf Videokameras im öffentlichen oder halböffentlichen Bereich ist nicht geplant und mit der bestehenden Software auch technisch nicht möglich.“

Für AI ist die Technologie fehleranfällig und könne unter anderem zu Diskriminierung bereits marginalisierter Gruppen führen. Die Systeme erkennen manche Gesichter in Abhängigkeit von Schlüsselmerkmalen wie Hautfarbe, ethnischer Zugehörigkeit oder Geschlecht genauer als andere. Amnesty warnt zudem vor einer schrittweisen Ausweitung des Einsatzes, die zur Massenüberwachung führen könne, und fordert ein Verbot in Österreich und weltweit.

Nach einer einjährigen Testphase ist seit August 2020 Gesichtserkennung zur Strafverfolgung in Österreich im Regelbetrieb. Das Innenministerium veröffentlichte erst nach parlamentarischen Anfragen Informationen über den Einsatz der Software. Sie wird demnach vom Bundeskriminalamt zur Ermittlung von vorsätzlich begangenen gerichtlich strafbaren Handlungen eingesetzt, unabhängig von der angedrohten Strafhöhe eines Deliktes. Die EDE-Datenbank umfasst etwa 600.000 Personen.

Immer mehr Länder setzen Gesichtserkennungstechnologie zur Überwachung des öffentlichen Raums ein. In mindestens zehn EU-Mitgliedstaaten wird sie aktuell von der Polizei genützt. In China wird laut AI die Technologie zur Überwachung der muslimischen Minderheit der Uiguren verwendet. In Russland setzte die Polizei bei den jüngsten Protesten Gesichtserkennung ein, um Protestierende zu identifizieren und zu verfolgen. In den USA wurde im Zuge der Black-Lives-Matter-Proteste das Missbrauchspotenzial dieser Technologie kritisiert. Daraufhin wurde sie in zahlreichen US-Städten verboten.

Bis Ende April 2021 wurde die Software laut BK rund 1.438 Mal eingesetzt. 133 Verdächtige seien so identifiziert worden. Ein Beispiel für den erfolgreichen Einsatz des „Digitalen Bildabgleichs“ sei die Klärung von Serieneinbrüchen in Wohnhäuser und Firmen in Wien mit mehreren Beschuldigten. „Im Zuge eines solchen Einbruchsdiebstahles in ein Wohnhaus hat ein weiterer Täter, zu dem die drei anderen ausgeforschten Täter keine Angaben gemacht haben, seine Geldbörse mit darin befindlichem Passfoto im Haus verloren. Dieses Foto wurde digital mit der Erkennungsdienstlichen Evidenz abgeglichen.“ Weiters sei ein Banküberfall aus dem Jahr 2008 im vergangenen Jahr geklärt worden, der mittels Bildabgleichs ermittelte Täter hatte zwischenzeitlich 2015 einen weiteren Bankraub begangen.

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