25 Tote bei blutigstem Polizeieinsatz in Rios Geschichte

Bei dem blutigsten Polizeieinsatz in der Geschichte der brasilianischen Millionenmetropole Rio de Janeiro sind mehr als zwei Dutzend Menschen ums Leben gekommen. Gegen die Polizei wurden schwere Vorwürfe erhoben. Nach Angaben der Exekutive handelte es sich bei den Toten um 24 Verdächtige und einen Beamten einer Spezialeinheit.

Am Donnerstag war es zu heftigen Gefechten zwischen Mitgliedern von Drogenbanden und der Polizei in der Favela Jacarezinho gekommen. Seit den frühen Morgenstunden waren Schüsse und Explosionen zu hören. Der Helikopter des brasilianischen Fernsehens hielt fest, wie Männer mit Gewehren versuchten, über die Dächer zu entkommen. Bewohner, unter ihnen eine Braut und eine Schwangere, konnten stundenlang ihre Häuser nicht verlassen. Eine Klinik musste geschlossen bleiben.

Zudem wurden zwei Fahrgäste der Metro, die in der Nähe des Armenviertels im Norden von Rio vorbeiführt, in einem U-Bahn-Wagen angeschossen. Ein Mann wurde in seinem Haus von einem Querschläger im Fuß getroffen. Außerdem wurden zwei Polizeibeamte bei dem Einsatz verletzt.

In einem Video, den das „Jornal Nacional“ von „TV Globo“ zeigte, filmt eine Frau einen Polizisten und versichert, dass der Verdächtige sich ergeben wolle. Laut Polizei gab es keine Verfehlungen: „Sie waren alle Drogenhändler oder Kriminelle, die versucht haben, unseren Polizisten das Leben zu nehmen, und es gab keine andere Alternative“, sagte der Polizeibeamte Felipe Curi auf einer Pressekonferenz. Der Polizeibeamte Rodrigo Oliveira sagte, dass „wenn jemand von einer Hinrichtung bei dieser Operation spricht, dann in dem Moment, als der Polizist mit einem Kopfschuss getötet wurde“. Der getötete Beamte sei getroffen worden, als er versuchte, eine Barrikade zu entfernen.

Nach Angaben des Nachrichtenportals „G1“, das Informationen der staatlichen Universität UFF und der App „Fogo Cruzado“ (Kreuzfeuer) auswertete, die Daten über bewaffnete Gewalt sammelt, war dies die Polizei-Operation mit den meisten Toten in der Geschichte Rio de Janeiros. „Dies setzt einen langjährigen Trend unnötiger und unverhältnismäßiger Gewaltanwendung durch die Polizei in Brasiliens armen, marginalisierten und überwiegend afro-brasilianischen Vierteln fort“, sagte Rupert Colville, der Sprecher des UN-Menschenrechtsbüros Colville.

Im Juli hatte der Oberste Gerichtshof in Brasília Polizei-Einsätze in Favelas während der Corona-Pandemie ausgesetzt. Diese sind nur in „absoluten Ausnahmefällen“ erlaubt. Der Polizeibeamte Oliveira bezeichnete dies als „Justiz-Aktivismus“ und versicherte, dass die Polizei alle Anforderungen des Gerichtshofs erfüllt habe.

Der am vergangenen Samstag ins Amt eingeführte Gouverneur des Bundesstaates Rio de Janeiro, Claudio Castro, ist ein Verbündeter von Jair Bolsonaro. Brasiliens rechter Präsident spricht sich dafür aus, dass Polizisten nicht juristisch belangt werden können, wenn sie im Einsatz Menschen töten. Er vertritt auch den weit verbreiteten Ausspruch „Nur ein toter Bandit ist ein guter Bandit“.

Die Favela Jacarezinho gilt als einer der Stützpunkte des „Comando Vermelho“ (Rotes Kommando) im Norden Rios, den dieses unter anderem mit Barrikaden schützt. Mächtige Verbrechersyndikate wie das „Comando Vermelho“ und eine Reihe kleinerer Banden ringen in den Armenvierteln um die Kontrolle von Drogenhandel und Schutzgeldgeschäft. Der Polizeibeamte Curi warf dem Drogenhandel vor, Kinder zu rekrutieren. Die Operation habe sich auch dagegen gerichtet.

In keinem anderen Land der Welt kommen so viele Menschen bei Polizeieinsätzen ums Leben wie in Brasilien. 2019 töteten Sicherheitskräfte 5.804 Menschen, wie aus einem Gewaltmonitor hervorgeht, der von „G1“, dem Brasilianischen Forum für öffentliche Sicherheit und der Universität von São Paulo betrieben wird. In den USA erschossen Polizisten im Jahr 2019 1.098 Menschen.

Die Verhältnisse sowie die Arbeitsbedingungen der Polizei in Europa lassen sich nicht mit denen in Brasilien vergleichen: Viele Armenviertel werden von schwer bewaffneten Drogenbanden kontrolliert. Rückt die Polizei in den Favelas ein, um einen Haftbefehl zu vollstrecken oder nach Suchtgift zu suchen, wird sie nicht selten mit Salven aus Sturmgewehren empfangen. Die Operationen in den Ganglands von Rio de Janeiro und Sao Paulo gleichen eher Militäreinsätzen als Polizeimaßnahmen.

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