Michael Schade träumt von einem „Konzert um die Pestsäule“
Die Internationalen Barocktage Stift Melk werden zwar auf den Herbst verschoben, doch der künstlerische Leiter und Star-Tenor Michael Schade bereitet gemeinsam mit dem ORF und SCARLATTI Arts International eine Konzertaufzeichnung von Claudio Monteverdis „Marienvesper“ in der Stiftskirche vor. Die Ausstrahlung erfolgt am 21. Mai live um 19.30 Uhr im ORF-Radio bei „Das Ö1 Konzert“ und am Pfingstsonntag (23. Mai) um 20.15 Uhr im Rahmen von „Erlebnis Bühne“ auf ORF III.
Im APA-Interview sprach Schade über seine Intentionen, seine Erfahrungen mit der Pandemie und seine vorsichtigen Erwartungen an die Post-Corona-Zeit. „Es wird jetzt bald Mitte Mai, und es ist noch kein Blatt zu sehen auf dem Horizont der Kultur. Die Zeit nach Corona fängt an, langsam aufzutauen.“ Die Barocktage Stift Melk wollen da ein Zeichen setzen. Schade schwärmt von Monteverdis „Marienvesper“ und der idealen Besetzung: „Wir haben einen Weltstar, den Dirigenten Pablo Heras-Casado, er hat buchstäblich noch den Segen von Nikolaus Harnoncourt, und er dirigiert den Concentus Musicus für uns an diesem Abend, bevor er in der Staatsoper die ‚Poppea‘ macht.“
Dass nicht das gesamte Programm der Barocktage zu Pfingsten realisierbar ist, liegt unter anderem daran, dass die erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen nicht in allen Räumlichkeiten des Stifts gewährleistet werden können. Auch kennzeichne eine „gewisse Intimität“ die Atmosphäre des Festivals: „Da gehört eine Agape nach den Veranstaltungen dazu, das Miteinander-Reden, und unsere Sponsoren und Förderer lieben uns auch dafür!“
Für den September ist die Hoffnung „sehr viel größer. Da denken wir schon, dass die Bäume grün sind.“ Dennoch bleibt Schade skeptisch bezüglich des raschen kulturellen Wiedererwachens: „Ich glaube, wir sind die nächsten paar Jahre noch ziemlich gefesselt von dem Ganzen. Es ist jetzt ein Schaden passiert, wie ein großer Crash, so fühlt sich das an. Deutschland ist zu, Frankreich zu. Es ist wirklich schwierig. So vieles ist einfach weg, und man weiß nicht, ob es wiederkommt. Die Welt als solche wird erst Anfang Oktober wieder anfangen zu träumen. Aber die Kunst hat viel Schlimmeres überlebt.“
Wie hat Schade das vergangene Jahr für sich selbst erfahren? „Ich habe wahnsinnig viel gelernt über mich selber. Ich habe stimmlich gearbeitet, das ist ja wie Marathon laufen, und das muss man trainieren. Ich habe fünf, sechs Filme gedreht, einen Musiksalon kreiert für junge Künstler - und die einzigen Konzerte außerhalb Österreichs waren ein gestreamtes Konzert im leeren La Fenice in Venedig mit Beethovens Neunter - ein ganz surreales Erlebnis - und das ‚Lied von der Erde‘ in Stettin in Polen. Ich war sehr nervös, mit dem Packen und all diesen Sachen, ob man noch alles richtig macht und nichts vergisst, und dazu diese erdrückende Menschenleere in den Flughäfen. Aber es ist wie mit dem Radfahren: Wenn man es einmal kann, vergisst man‘s nicht.“
Und über die Zeit nach Corona: „Manchmal schau ich dem, was jetzt kommt, mit einer Skepsis oder fast einer Müdigkeit entgegen, und da bin ich nicht der Einzige. Es gibt ganz viele Musiker, die eine Scheu haben, ob sie‘s noch können, eine Nervosität vor dem, was jetzt kommt. Für mich war diese forcierte Auszeit aber irgendwie auch positiv. Ich bin jetzt da herausgekommen mit der Einstellung, dass ich nur noch mit Freunden und nur noch für mich und was ich gerne mache, musizieren möchte und dass ich mir einfach eine schöne Zeit mache. Ich hab alles gesehen, ich hab alles gesungen, ich muss jetzt nicht obendrein irgendwas erzwingen. Manchmal frag ich mich, ist das wirklich so? Weil ich bin ein Rennpferd, und ich bin in diesem Beruf seit 33 Jahren freiberuflich, das heißt, ich bin beruflich so gut drauf wie mein Kalender voll ist. Aber ich sattle jetzt das Pferd, wie es sich gehört.“
Die Müdigkeit, die viele fühlen, will Schade aber bestimmt nicht stimmlich verstanden wissen: „Durch Training bin ich da Gott sei Dank fit wie ein Turnschuh. Man ist die Absagen müde und das ewige Suchen nach ‚was kann ich nun anders oder neu machen, um zu überleben‘. Aber eigentlich bin ja genau das genau ich - neue Ideen, junge Leute unterstützen etc., vielleicht freut man sich weiterhin, wenn es wieder ‚normal losgeht‘, aber wir sollten uns da nichts vormachen: Es wird nicht mehr so wie einmal - we are all changed, und ja, der Gedanke macht müde und macht Angst, aber dann wiederum sage ich - roll up your sleeves, let‘s go!“
Skepsis und Hoffnung halten sich somit die Waage: „Es ist ja nicht so, dass wir den Knopf drücken, und dann geht alles von vorn wieder los. Aber ich bleib positiv, ich habe so viel Schönes gesehen, und es war doch unsere erste Aufgabe überhaupt, dieses Gott sei Dank zu überleben. Ich habe einen Traum, dass wir irgendwann ein tolles Konzert um die Pestsäule machen, mit Zimbeln, Pauken und Gottesdank. Und ich kann jetzt schon versprechen: Die ‚Marienvesper‘ zu Pfingsten wird alle aufmuntern und erleuchten.“
Für 2023 hat Schade jedenfalls eine Einladung nach Australien, wo er den ganzen Sommer verbringen wird, zumal ihm Simone Young eine „Tote Stadt“ in Adelaide und Solokonzerte mit dem Sydney Symphony Orchestra im Sydney Opera House angeboten hat: „Das war für mich wie Weihnachten und Geburtstag zusammen.“