Öffnungsschritte für Popkonzertbranche „Augenauswischerei“
Wenn am 19. Mai die Rollläden in der Kunst- und Kulturszene wieder hochgezogen werden, sucht man klassische Popkonzerte noch vergeblich. Dicht gedrängte Publikum vor einer Bühne? Aufgrund der Coronabestimmungen der Bundesregierung nicht möglich. Die Veranstalter üben sich dennoch in vorsichtigen Optimismus, wenngleich die derzeitige Öffnung eine „Augenauswischerei für die Branche“ sei.
So formulierte es Frequency-Boss Harry Jenner. „Es hat sich für uns nichts geändert“, sagte er angesichts geltender Rahmenbedingungen von maximal 1.500 Besuchern indoor bzw. 3.000 Besuchern outdoor, jeweils mit zugewiesenen Sitzplätzen. Für ihn und sein Team sei es daher weiterhin so, „als ob wir defacto geschlossen sind“. Für das Frequency im August hofft er dennoch. Bei personalisierten Tickets sowie Impf- oder Testnachweis für das Publikum könne er sich „eigentlich kein Argument dagegen vorstellen“.
Nach Monaten des Verschiebens sei man laut Filip Potocki von Arcadia Live nun an einem Punkt, „wo man tatsächlich langsam wieder über das Planen von Veranstaltungen unter akzeptablen Rahmenbedingungen nachdenken kann“. Kurz- bis mittelfristig ließe sich zwar nur schwer reagieren. Aber nicht zuletzt der Impffortschritt lasse ihn hoffen, dass man „einen großen Schritt näher an den Regelbetrieb“ machen könne.
Aus der Not eine Tugend macht man im Posthof Linz: Dort gibt es mit der FrischLuft-Schiene eine neue Open-Air-Bühne. „Draußen ist besser als drinnen“, lautet das Motto von Musikchef Gernot Kremser. Er sieht durch die Krise eine neue Flexibilität, die Einzug gehalten habe. „Die war immer da, aber wir mussten lernen, anders damit umzugehen.“ Von der Politik hätte er sich „mehr Sensibilität gewünscht. Man hat sehr eindeutig gesehen, was als wertvoll erwachtet wird und was nicht einmal Thema ist.“
Ähnlich formulierte es Hannes Cistota vom Wiener WUK. Dass bei den Coronaregeln alle Kulturveranstaltungen über einen Kamm geschoren werden, kann er nicht nachvollziehen. „Wer jemals auf einem Konzert war: Das Schöne ist doch, dass man sich frei bewegen kann.“ Es gehe um verschiedene Settings. „Aber es wird einfach drüber gefahren“, ärgerte er sich über die Vorgaben. An eine Veränderung im Konzert- oder Tourneewesen glaubt er unterdessen nicht, weder in punkto Größe noch grenzenüberschreitender Organisation.
Im Popsektor sei ein Hochfahren jedenfalls nicht ganz so einfach, wie Musikwirtschaftsforscher Peter Tschmuck betonte. „Die eingespielten Strukturen und Prozesse müssen erst wieder etabliert werden“, es reiche nicht, einfach „auf einen Knopf“ zu drücken. Die Branche sei aktuell „eingefroren“ - wie es allen voran mit den Venues weitergehen kann, zeige sich wohl erst nach Ende der Förderungen durch die öffentliche Hand.
Und wie sieht die Perspektive für kleinere Acts diesen Herbst aus, wenn das Open-Air-Geschehen langsam zu Ende geht? „Der Herbst bleibt das große Fragezeichen“, sagte Bertram Kolar von der Agentur TöchterSöhne. „Können wie kostendeckend Konzerte veranstalten?“ Verträge von verschobenen Gigs seien schon 2019 ausgehandelt worden, mit noch ganz anderen Kapazitäten. Sein Ausblick bleibt dennoch positiv: „Ich glaube, dass wir 2022 wieder annähernd dort sind, wo wir vorher waren.“
Wie sehr das Publikum die Wiederbelebung im Veranstaltungsbereich herbeisehnt, ist indes noch unklar. Eine von Marketagent im Auftrag der Cayenne Marketingagentur durchgeführte Umfrage unter 500 Personen Anfang Mai ergab, dass zwar rund 49 Prozent eine kleine Indoor-Veranstaltung mit bis zu 100 Personen „auf jeden Fall“ oder „eher“ besuchen würden und auch Freiluftveranstaltungen bis zu 500 Personen mit 46 Prozent einen ähnlich guten Wert haben. Geht es aber in Richtung der derzeit möglichen Maximalgrenzen, liegt der Zuspruch nur noch bei rund 14,4 bzw. 14,8 Prozent. „Für die Eventveranstalter wird hier der Weg zurück zur vollständigen Normalität noch ein längerer bleiben“, erklärte Cayenne-Geschäftsführer Wolfgang Übl.