KHM beschwört nach Corona „Höhere Mächte“

Das Kunsthistorische Museum (KHM) ruft „Höhere Mächte“ an und betreibt in seiner gleichnamigen Ausstellung, die ab Dienstag zu sehen ist, auch ein bisschen Pandemieaufarbeitung. Denn die Idee für den rund 100 Objekte aus fünf Kontinenten umspannenden Parcours ist tatsächlich in der Coronaanfangsphase entstanden und damit auch der Sehnsucht des Menschen, sich in Krisenzeiten an überirdische Wesen zu wenden, geschuldet.

Die Schau, die sich anhand von Gemälden, Tapisserien, Gottheitsfiguren und Glücksbringern Naturgewalten genauso widmet wie irdischen Mächten und deren Insignien, ist eine Gemeinschaftsarbeit des Haupthauses mit dem Theater- und dem Weltmuseum, die ebenfalls zum KHM-Verband gehören. „Während des ersten Lockdowns ist uns aufgefallen, dass bei der Pestsäule am Graben viele Kerzen und Votivgaben wie Blumen oder Zeichnungen abgelegt wurden. Das hat uns bewusst gemacht, dass in unserer säkularen Welt Menschen in der Krise doch an höhere Mächte wenden“, erklärte KHM-Expertin Gerlinde Gruber am Montag in einer Pressekonferenz.

Also hat sich das dreiköpfige Kuratorinnenteam, dem Gruber angehört, darangemacht, aus den beteiligten Häusern ausgewählte Werke aus den Beständen zusammenzutragen, die das Thema in verschiedenen Formen und Facetten in Kunst und Kultur abbilden sollen. Vier Säle im ersten Stock werden in der doch recht überschaubaren Ausstellung bespielt.

Der erste Raum ist den vier Elementen Erde, Feuer, Luft und Wasser gewidmet. Sie sind Grundlage allen Lebens, bringen aber auch Bedrohung und Zerstörung. Begrüßt wird man von einem blau-weiß schwebenden Luftfigur von Ernst Fuchs aus 1977 - ein Entwurf für das Oratorium „Il Lutto dell‘universo“, in dem die vier Elemente die Kreuzigung Christi beklagen. Von einer dunkelblauen Wand gegenüber leuchtet Rubens düstere „Gewitterlandschaft“ (1620-1636), schräg darüber mahnt der mächtige Sturmdämon „O‘ma“, ein Maskenkostüm der brasilianischen Tunika aus den 1830er-Jahren, zum sorgsamen Umgang mit der Natur. Während Arcimboldos Gemälde „Das Element Wasser“ den Reichtum der Meere und Flüsse verdeutlicht, zeigen Überreste des 2018 niedergebrannten Nationalmuseums in Rio de Janeiro, die das Weltmuseum besitzt, die vernichtende Kraft von Naturgewalten. Daneben hängt ein T-Shirt mit der Aufschrift „Eyjafjallajökull canceled my flight“ - eine augenzwinkernde Erinnerung daran, wie sehr die Natur, hier in Form eines „unaussprechlichen Vulkans“ (Gruber) abrupt in unser Leben eingreifen kann.

Der zweite Raum setzt sich mit irdischen Herrschern auseinander. Kopfbedeckungen aller Art dominieren die Zusammenstellung. Kostbare Materialien wie Edelmetalle, aber auch Federn seltener Vögel, oder eine üppige Ornamentik stehen für Machtanspruch und Überlegenheit. Das trifft auf die gezeigte Mitra des Papst-Ornats aus der Mitte des 18. Jahrhunderts ebenso zu wie auf den riesigen kongolesischen Kopfschmuck aus knallorangen Papageienfedern, der gleich daneben platziert ist und aus dem 19. Jahrhundert stammt. Dass manche Objekte mit einer ursprünglich nicht intendierten Bedeutung erst aufgeladen wurden, davon erzählt etwa ein Tropenhelm des Afrikaforschers Oscar Baumann (1864-1899). Lediglich als Sonnen- und Regenschutz gedacht, wurden derlei Bedeckungen im Zuge des Kolonialismus schnell zum Symbol von Unterdrückung und Gewalt, wie Kurator Rudi Risatti vom Theatermuseum erklärte.

Im dritten Saal dreht sich alles um die Frage, wie mit höheren Wesen Kontakt aufgenommen werden kann. Hausaltäre, Gebetsschnüre aus unterschiedlichen Religionen und die Utensilien des peruanischen Schamanen Eduardo Calderon (1930-1996), der im Zuge seiner internationalen Reisen auch in Österreich Station machte, sind hier zu bestaunen. Für dieses Kapitel baten die Ausstellungsmacherinnen und -macher nicht zuletzt um die Mithilfe von Privatpersonen. Sie haben persönliche Glücksbringer zur Verfügung gestellt - vom roten Wollfaden aus Tibet über eine Hasenpfote aus St. Johann im Pongau bis zum Plüschelefanten aus Deutschland. Sie sollen „gleichwertig“ mit den anderen hier gezeigten Kultobjekten zur Geltung kommen, betonte Kuratorin Claudia Augustat vom Weltmuseum.

„Wir haben das Gefühl, dass die Pandemie etwas mit uns gemacht hat“, ist Gruber überzeugt. Sie bemerke, dass es das Bedürfnis gebe, darüber zu reden und „etwas davon rauszulassen“. Dafür ist der letzte, vierte Raum gedacht. Hier soll Gedankenaustausch stattfinden und Gelegenheit sein, an einer Textwand eigene Überlegungen an oder über „Höhere Mächte“ zu hinterlassen.

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