Bisher hält die Waffenruhe zwischen Israel und Hamas
Nach elf Tagen gegenseitigen Beschusses zwischen Israel und radikalen Palästinensern schweigen die Waffen. Um 02.00 Uhr Ortszeit (01.00 MESZ) am Freitag trat die vereinbarte Waffenruhe in Kraft und hielt auch zunächst. Im Gazastreifen strömten Tausende Menschen auf die von Trümmern übersäten Straßen und feierten die erste Nacht ohne israelische Luftangriffe seit dem 10. Mai. Über Moschee-Lautsprecher wurde „der Sieg des Widerstands“ gegen Israel gefeiert.
US-Präsident Joe Biden kündigte Wiederaufbauhilfe für den Gazastreifen an, der von der islamistischen Hamas regiert wird. Diese Hilfe solle aber mit der Palästinenser-Regierung koordiniert werden, die im Westjordanland sitzt und vom Hamas-Rivalen Fatah geführt wird. Israel sicherte er zu, das Raketenabwehrsystem Eisenkuppel (Iron Dome) wiederaufzurüsten. UN-Generalsekretär Antonio Guterres und die EU begrüßten die Waffenruhe und forderten nun Bemühungen um eine langfristige politische Lösung.
Guterres sagte, Israel und die Palästinenser hätten nun die „Verantwortung über die Wiederherstellung der Ruhe hinaus, um die Ursachen des Konflikts anzugehen“. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen forderte beide Seiten auf, die Waffenruhe zu festigen und die Situation auf lange Sicht zu stabilisieren. „Nur eine politische Lösung wird dauerhaften Frieden und Sicherheit für alle bringen“, twitterte sie.
Auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel begrüßte das Ende der Kämpfe. Nötig seien jetzt aber eine dauerhafte Waffenruhe, die humanitäre Versorgung der Palästinenser im Gazastreifen und Arbeiten an einer langfristigen Lösung des Konflikts auf Grundlage des Zweistaatenkonzepts, sagte ein Regierungssprecher in Berlin. Er wollte nicht sagen, ob Deutschland Israel auch neue militärische Hilfe angeboten habe wie etwa die USA. Eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes verwies darauf, dass es in den vergangenen Tagen und Wochen sehr intensive Gespräche gegeben habe, um eine Deeskalation zu erreichen.
Frankreich forderte indes „dauerhafte Abmachungen“. Nötig sei auch humanitäre Hilfe, vor allem für die Menschen im Gazastreifen, schrieb Außenminister Jean-Yves Le Drian am Freitag auf Twitter. Im Gazastreifen leben etwa zwei Millionen Palästinenser unter teils prekären Bedingungen. Le Drian lobte außerdem Ägyptens Rolle als Vermittler.
Ägypten hatte die Waffenruhe am Donnerstag vermittelt und schickt nun zwei Delegationen zu ihrer Überwachung. Zudem erhöhte Biden zuletzt den Druck auf den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu, die Lage zu de-eskalieren. Der US-Präsident kündigte an, mit den Vereinten Nationen (UN) „und anderen internationalen Akteuren zusammenarbeiten, um schnelle humanitäre Hilfe“ für den Gazastreifen und dessen Wiederaufbau zu leisten. Die Hilfe solle aber mit der moderateren Fatah in einer Weise abgestimmt werden, „die es der Hamas nicht erlaubt, einfach ihr militärisches Arsenal aufzustocken“. Zu weiteren Gesprächen will US-Außenminister Antony Blinken nach Nahost reisen.
Netanyahu wertete den Militäreinsatz der vergangenen Tage als Erfolg. Den Möglichkeiten der Hamas für Raketenangriffe auf Israel sei ein Schlag versetzt worden. Das ausgedehnte Tunnelnetzwerk der Hamas, ihre Raketenfabriken, Waffenlabore und Lager seien zerstört worden. Mehr als 200 islamistische Kämpfer seien getötet worden, darunter 25 ranghohe Agenten. „Die Hamas kann sich nicht mehr verstecken. Das ist ein großer Erfolg für Israel“, sagte Netanyahu in einer Fernsehansprache. „Wir haben einen wichtigen Teil der Kommandostrukturen der Hamas und des Islamischen Jihad ausgeschaltet. Und wer auch immer nicht getötet wurde, weiß heute, dass unser langer Arm ihn überall erreichen kann, über der Erde oder im Untergrund.“
Die Hamas, die von den USA und der EU als Terrororganisation eingestuft wird, wertete ihrerseits die Kämpfe als erfolgreichen Widerstand gegen einen militärisch und wirtschaftlich stärkeren Feind. Ein führender Funktionär drohte: „Es ist wahr, dass die Schlacht heute endet, aber Netanyahu und die ganze Welt sollten wissen, dass unsere Finger am Abzug sind und wir die Möglichkeiten dieses Widerstands weiter ausbauen werden.“ Zu den Forderungen der Hamas gehörten der Schutz der Al-Aqsa-Moschee in Jerusalem und ein Ende der Vertreibung von Palästinensern in Ost-Jerusalem, sagte Politbüro-Mitglied Essat al-Reshik der Nachrichtenagentur Reuters in Doha.
Geplante Zwangsräumungen von Häusern palästinensischer Familien in Ost-Jerusalem auf Gebiet, das von jüdischen Siedlern beansprucht wird, hatten kürzlich zu schweren Ausschreitungen an der Al-Aqsa-Moschee geführt. Am Montag vergangener Woche reagierte die Hamas darauf mit Raketenangriffen. Bei den folgenden schwersten Kämpfen seit Jahren zwischen beiden Seiten kamen auf palästinensischer Seite 243 Menschen ums Leben, darunter sind den Angaben der Behörden zufolge 66 Kinder. Mehr als 1.900 Menschen wurden verletzt und Tausende Wohnungen zerstört. In Israel wurden ein Soldat und zwölf Zivilisten getötet sowie Hunderte Menschen verletzt.
In dem Konflikt geht es auf beiden Seiten auch um innenpolitische Machtkämpfe. Netanyahu steht einerseits unter Druck, weil er wegen Korruption angeklagt ist. Zum anderen ist es dem konservativen Politiker trotz mehrerer Neuwahlen nicht gelungen, ein neues Regierungsbündnis zu schmieden. Auf palästinensischer Seite schwelt im Hintergrund die Konkurrenz zwischen der Hamas und der zerstrittenen Fatah von Palästinenser-Präsident Mahmoud Abbas. Dieser hatte unlängst die Wahlen in den Palästinenser-Gebieten abgesagt, was auf Verärgerung der Hamas stößt. Experten zufolge dürfte die Hamas mit den Raketenangriffen auch zum Ziel gehabt haben, den Einfluss von Abbas zurückzudrängen und sich als Beschützer der Palästinenser in Jerusalem zu präsentieren. Am Freitag schwenkten auch in Ramallah - dem Amtssitz von Abbas - einige Palästinenser zur Feier der Waffenruhe grüne Hamas-Fahnen.
Auf dem Tempelberg in Jerusalem kam es unterdessen am Freitag wieder zu Zusammenstößen zwischen Palästinensern und der israelischen Polizei. Palästinenser hätten Steine auf israelische Sicherheitskräfte geworfen, die daraufhin mit Gegenmaßnahmen begonnen hätten, sagte Polizeisprecher Micky Rosenfeld der Nachrichtenagentur AFP. Die heftigen Zusammenstöße nach dem Freitagsgebet dauerten nach Berichten von AFP-Korrespondenten an.