Oppositioneller nach Zwangs-Notlandung in Minsk festgenommen
Das autoritär regierte Weißrussland hat ein Linien-Flugzeug auf dem Weg von Athen nach Vilius am Sonntag umgeleitet und zur Landung in der weißrussischen Hauptstadt Minsk gezwungen. An Bord befand sich mit Roman Protassewitsch einer der prominentesten oppositionellen Blogger Weißrusslands, er wurde nach der Landung festgenommen. Zahlreiche EU-Länder, darunter Österreich, sowie die EU-Spitzen protestierten gegen die Umleitung und forderten die Freilassung Protassewitschs.
Wenige Minuten bevor die Boeing 737 der irischen Fluggesellschaft Ryanair kurz vor 13 Uhr Ortszeit den weißrussischen Luftraum wieder verlassen und über Litauen mit dem Landeanflug auf Vilnius begonnen hätte, hatte sie überraschend abgedreht und war schließlich in Minsk gelandet. Es habe Informationen über eine Bombe an Bord gegeben und Präsident Alexander Lukaschenko habe deshalb den Befehl erteilt, den Flug umzuleiten und zu empfangen, berichtete der regimenahe weißrussische Telegramkanal „Pul Pervogo“. Explosive Stoffe seien jedoch nicht gefunden worden, hieß es.
An Bord des Flugzeugs befand sich mit dem ehemaligen Chefredakteur des führenden oppositionellen Telegramkanals „NEXTA“ Roman Protassewitsch einer der bekanntesten Blogger Weißrusslands (Belarus). Neben Protassewitsch wurde am Sonntag eine russische Passagierin festgenommen, bestätigte der außenpolitische Berater von Swetlana Tichonowskaja, Franak Wjatschorka, auf APA-Nachfrage. Die Festgenommene sei in Vilnius als freiwillige Aktivistin tätig, erklärte er.
Zur Begleitung des Passagierflugzeugs sei auch ein Kampfjet vom Typ MiG-29 aufgestiegen, wie der Flughafen bestätigte. Die Fluglinie Ryanair bestätigte, dass die Besatzung des Fluges von weißrussischer Seite über eine mögliche Sicherheitsbedrohung an Bord in Kenntnis gesetzt und angewiesen worden sei, zum nächstgelegenen Flughafen in Minsk zu fliegen. Die Behörden hätten daraufhin genehmigt, dass das Flugzeug nach mehreren Stunden am Boden wieder zusammen mit Passagieren und Crew starten könne.
Am Abend startete das Flugzeug von Minsk Richtung Litauen, wie die EU-Verkehrskommissarin Adina Valean per Twitter mitteilte. „Gute Nachrichten für jeden, vor allem die Familien und Freunde von Menschen an Bord“, erklärte Valean. Sie machte keine Angaben zum Schicksal des festgenommenen Exil-Oppositionellen.
Der Vorfall sorgt für heftige Kritik vonseiten zahlreicher EU-Staaten, sowie durch die EU-Spitzen. „Es ist absolut inakzeptabel, den Ryanair-Flug von Athen nach Vilnius zu zwingen, in Minsk zu landen“, EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen auf Twitter. Verletzungen der internationalen Luftverkehrsregeln müssten Konsequenzen haben.
EU-Ratschef Charles Michel forderte Untersuchungen der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation. Offen ließ er, ob und in welcher Form das Thema beim EU-Sondergipfel am Montagabend diskutiert werden könne. Sowohl der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki als auch der griechische Regierungschef Kyriakos Mitsotakis hatte kurz zuvor gefordert, dass bei dem Gipfel über Sanktionen gegen Weißrussland beraten werden solle.
Laut dem litauischen Außenminister Gabrielius Landsbergis befanden sich 171 Passagiere an Bord, zu 149 davon habe man Informationen. Unter diesen seien überwiegend Litauer, aber auch ein Österreicher sowie mehrere Menschen aus anderen EU-Staaten.
Das Außenministerium in Wien bestätigte am Abend gegenüber der APA, dass sich ein österreichischer Staatsbürger auf der Passagierliste befunden habe. Die am Flughafen in Wien anwesende österreichische Botschafterin in Minsk, Aloisia Wörgetter, erklärte gleichzeitig jedoch gegenüber der APA, dass sie keinen österreichische Staatsangehörigen identifizieren habe können. Das Außenministerium forderte auf Twitter „eine unabhängige internationale Untersuchung dieses Vorfalls“ und die dringende Freilassung Protassewitschs.
Auch die weißrussische Exilopposition übte heftige Kritik. „Es ist absolut offensichtlich, dass dies eine Geheimdienstoperation zur Flugzeugentführung war, um den Aktivisten und Blogger Roman Protassewitsch zu verhaften“, kritisierte die im Exil lebende weißrussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja. Ab dem heutigen Tag sei klar, dass sich niemand, der über Weißrussland fliegt, in Sicherheit wiegen könne, sagte sie.
Oppositionspolitiker Pawel Latuschko ergänzte, dass dem Blogger in seiner Heimat die Todesstrafe drohe. Er forderte eine sofortige internationale Aufklärung des Zwischenfalls und eine Untersuchung, ob der internationale zivile Flugverkehr über Belarus einstweilen eingestellt werden soll.
Die Behörden in Weißrussland hatten „NEXTA“ als extremistisch eingestuft. Der Kanal hatte im vergangenen Jahr nach der umstrittenen Präsidentenwahl immer wieder zu Massenprotesten gegen Lukaschenko aufgerufen. Der Geheimdienst KGB hatte den Journalisten Protassewitsch auf eine Liste mit Menschen setzen lassen, denen die Beteiligung an terroristischen Handlungen vorgeworfen werde, wie das Portal tut.by bei Telegram berichtete.