Grabenwarter zieht nach Brandstetter-Rücktritt Schlussstrich

VfGH-Präsident Christoph Grabenwarter konnte am Freitag unter die „unerfreuliche Entwicklung“ der publik gewordenen Handychats des suspendierten Sektionschefs Christian Pilnacek einen „Schlussstrich“ ziehen, da Verfassungsrichter Wolfgang Brandstetter seinen Rücktritt angekündigt hat. Justizministerin Alma Zadic (Grüne) wartet hingegen auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts über die Suspendierung Pilnaceks - und erwog angesichts des Chats eine Nachtragsanzeige.

Was in der Nachtragsanzeige vorgebracht werden soll, wollte man im Zadic‘ Büro am Freitag nicht verraten - auch nicht ob es, wie im ORF-“Mittagsjournal“ berichtet, um rassistische oder sexistische Äußerungen über Verfassungsrichterinnen gehen könnte oder Pilnaceks im Chat angesprochenen Einsatz für einen hochrangigen Justiz-Posten für seine Frau.

Ob Pilnacek dauerhaft suspendiert wird, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht. Das Justizministerium hat dort nämlich Beschwerde eingelegt gegen die Entscheidung der Bundesdisziplinarkommission, die befunden hatte, dass eine (im Februar angesichts von Ermittlungen gegen ihn verhängte) Suspendierung nicht angebracht ist. Am Dienstag wurde darüber verhandelt, das Urteil ergeht schriftlich - und wird für nächste Woche erwartet.

Der Verfassungsgerichtshof wurde von den Ereignissen mitten in den letzten Vorbereitungen für die Session überrascht. Für Brandstetters Nachfolge ist jetzt die Regierung am Zug. Zeitvorgaben gibt es dafür keine, im VfGH hat man immer wieder längere Vakanzen erlebt.

Grabenwarter zeigte sich am Freitag im Ö1-Morgenjournal „erschrocken und bestürzt“ über den Inhalt des Chats. „Herabwürdigende Äußerung über Menschen aus Gründen ihrer Hautfarbe, ihres Geschlechts oder ihrer beruflichen Tätigkeit haben in einer demokratischen Debatte keinen Platz und in einer demokratischen Gesellschaft sollte dafür kein Raum sein“, betonte er.

Nachdem Brandstetter von sich aus erkannt habe, dass er dem VfGH am besten dienen könne, indem er sein Amt niederlege, sieht sich Grabenwarter jetzt „davon entbunden, einzelne Äußerungen zu analysieren“. Nun könne man einen „Schlussstrich“ unter eine „unerfreuliche Entwicklung“ ziehen, in die Zukunft schauen und die Arbeitsfähigkeit sicherstellen.

Die Äußerung Pilnaceks, wonach dieser einem „vom VfGH fehlgeleiteten Rechtsstaat“ nicht mehr „dienen“ könne, sei aufs Schärfste zurückzuweisen, so Grabenwarter. Der VfGH leite den Rechtsstaat nicht fehl, sondern sei eine „große Stütze“. Inhaltliche Kritik sei aber „völlig legitim“. Etwa sei die Sterbehilfe eine schwierige Entscheidung gewesen, mit der juristisches Neuland betreten worden sei. Wesentlich sei, dass auf „derartige Äußerungen“ eine entsprechende Reaktion und eine zivilgesellschaftliche, mediale Diskussion komme. Und dies sei der Fall, weswegen er die Situation „entspannter“ sehe.

Darin, dass Höchstrichter und VfGH-Mitglieder von politischen Organen ernannt werden, sehe er kein Problem. Das sei „auf der ganzen Welt“ so. Wichtig sei aber, dass man Loyalitäten jenen gegenüber abstreift, von denen man gewählt wurde, betonte Grabenwarter.

Am Freitag traf er Brandstetter - der seinen Rücktritt per 1. Juli angekündigt hat - noch zu einem Gespräch über organisatorische Fragen. Der VfGH war am Tag nach dem Rücktritt im Arbeitsmodus - wurde man doch in den letzten Vorbereitungen für die am Montag startende Session von diesen Ereignissen überrascht. Daran kann Brandstetter teilnehmen, er ist nicht mehr - wie zuvor - im Krankenstand. Er könnte sich aber auch durch ein Ersatzmitglied vertreten lassen.

Denn um die Funktionsfähigkeit des Gerichtshofes sicherzustellen, wenn ein Mitglied verhindert ist, gibt es neben Präsident, Vizepräsidentin und den zwölf Mitgliedern auch sechs Ersatzmitglieder. Sie können auch einspringen, wenn ein Posten länger vakant ist. Denn für Nachbesetzungen gibt es keine Fristen - nur die eine, dass ab dem Zeitpunkt der Vakanz die Stelle binnen einem Monat ausgeschrieben werden muss.

Der VfGH teilt zuvor der nominierenden Stelle - in Falle Brandstetters ist der Bundeskanzler, weil die Bundesregierung das Vorschlagsrecht hat - mit, dass eine Richterstelle frei geworden ist. Rücktritte hat es immer wieder gegeben, oft aus gesundheitlichen Gründen (etwa der frühere Präsident Karl Korinek), aber nicht nur. Der Gerichtshof hat auch schon öfter längere Vakanzen erlebt. So war 2012 war eine Richterstelle fünf Monate nicht besetzt.

Problemlos weiterarbeiten konnte der VfGH - dank der Ersatzmitglieder - auch, als im Juni 2019 die damalige Präsidentin Brigitte Bierlein Vizekanzlerin wurde. Die Entscheidung, dass Vizepräsident Grabenwarter (der den VfGH damals interimistisch führte) Präsident wird, fiel erst im Februar 2020, nachdem die Wahl geschlagen und die türkis-grüne Regierung gebildet war.

Wirklich vollständig besetzt war der Gerichtshof aber erst im April 2020, als Vizepräsidentin Verena Mader angelobt worden war. Sie ist das erste auf Vorschlag der Grünen nominierte VfGH-Mitglied. Grabenwarter und fünf andere Verfassungsrichter kamen auf einem ÖVP-Ticket in den Gerichtshof, zwei wurden unter der Türkis-Blau von der FPÖ vorgeschlagen. Fünf Mitglieder sitzen auf SPÖ-Tickets.

Dem Bundespräsidenten zur Ernennung vorgeschlagen werden die 14 Mitglieder und sechs Ersatzmitglieder des VfGH offiziell nicht von den Parteien, sondern - aufgeteilt - von der Bundesregierung, Nationalrat und Bundesrat dem Bundespräsidenten. In der Realität der Koalitionsregierungen wird das Vorschlagsrecht aber unter den Regierungsparteien aufgeteilt.

Und da stellt sich nun die Frage, wie innerhalb der Regierung aufgeteilt wird. Denn Brandstetter kam auf einem ÖVP-Ticket in den VfGH. Aber seine Nachbesetzung jetzt ist die einzige absehbare in dieser Legislaturperiode - und somit die einzige Möglichkeit der Grünen in dieser Periode, ein zweites VfGH-Mitglied zu nominieren. Erst 2025, nach der nächsten regulären Nationalratswahl, erreicht die auf SPÖ-Vorschlag ernannte Claudia Kahr die Altersgrenze von 70 Jahren.

Eine Neuerung für - künftige - Nachbesetzungen ist übrigens im geplanten (aber noch nicht beschlossenen) Informationsfreiheitsgesetz enthalten: Mit einer Cooling-off-Phase soll sichergestellt werden, dass ehemalige Regierungsmitglieder in Bund und Land, Abgeordnete sowie Angestellte oder Funktionäre einer Partei für drei Jahre nach Ende der jeweiligen Tätigkeit weder Richter noch Ersatzrichter werden können. Damit hätte der ehemalige Justizminister Brandstetter erst deutlich später in den Gerichtshof einziehen können.