Mordprozess gegen Frau in Wien nach tödlichem Herzstich

Im Großen Schwurgerichtssaal im Wiener Straflandesgericht hat sich am Dienstag eine 27-jährige Frau wegen Mordes verantworten müssen, weil sie Ende 2020 ihren Bekannten mit einem Stich ins Herz getötet haben soll. Die beiden Obdachlosen haben sich am 18. November in einem Abbruchhaus getroffen, um ein Picknick zu machen. Wenig später war der 36-Jährige tot. Die Frau gab den tödlichen Stich zu, will aber in Notwehr gehandelt haben, schilderte sie Richterin Olivia-Nina Frigo.

Die Angeklagte und das Opfer kannten sich seit Juni. Sie verband eine lose Freundschaft, die beiden trafen einander immer wieder in diversen Obdachloseneinrichtungen. Man habe bei schönem Wetter draußen gesessen und gegessen. „Ich hab‘ ihn schon gern gehabt“, sagte die Angeklagte über den 36-jährigen Tschechen. Am 18. November rannte ihr der Mann wieder über den Weg. Die beiden beschlossen, in ein Abbruchhaus in der Sechtergasse zu gehen, das von Wohnungslosen genutzt wurde. Nachdem sie zwei Flaschen Wein und drei Äpfel gekauft hatten, begaben sie sich in das leer stehende Gebäude. „Aber Sie haben ja auch ein Messer mitgehabt“, sagte die Richterin. „Das haben wir gemeinsam gekauft, um die Äpfel zu schälen. Ich kann die Äpfel nicht so essen, weil mir vorne die Zähne fehlen“, so die Beschuldigte, die an diesem Tag bereits eine Flasche Vodka getrunken und zwei Tabletten des Angstlösers Praxiten eingenommen hatte.

Im Abbruchhaus angekommen, legten sich die beiden auf eine Matratze, um einvernehmlich Sex zu haben. „Aber er hat mich die ganze Zeit provoziert“, sagte die 27-Jährige. „Er hat nur noch tschechisch gesprochen. Ich fand das eben komisch.“ Obwohl die Frau über den 36-Jährigen gebeugt war, „hatte ich Todesangst“, sagte die Frau. Es sei eine aggressive Stimmung gewesen. „Aber wovor hatten Sie Todesangst, sie sitzen ja auf ihm drauf?“ Die Beschuldigte: „Er hat die Augen so aufgerissen.“ Der Mann habe sie an der Schulter packen und wegstoßen wollen. Seine Hände habe er in ihre Richtung ausgestreckt. „Hat er Sie angegriffen?“, fragte die Richterin. „Nein, er war kurz davor.“ Sie habe reflexartig „mit voller Wucht zugestochen“, das Messer war im Rucksack, der neben ihr stand. „Ich glaube nicht, dass ich anders hätte handeln können“, rechtfertige sie ihre Verantwortung der Notwehr.

Danach flüchtete sie hastig aus dem Haus. Auf dem Parkplatz dachte sie noch: „Beruhig dich, du hast etwas Schlimmes getan. Hol die Rettung“, erzählte sie vor Gericht. „Ich hab‘ mich geekelt vor mir selbst.“ Hilfe holte sie allerdings nicht. Der 36-Jährige, der sich noch schwer verletzt verletzt vom ersten Stock zum Eingang schleppte, wurde von einem Mann dort entdeckt, der die Rettung verständigte. Obwohl ein Notarzt an Ort und Stelle den Brustkorb des Verletzten öffnete und den Stich ins Herz noch zunähte, starb der gebürtige Tscheche am Weg ins Spital. Drei Tage später wurde die 27-Jährige wegen Mordverdachts festgenommen.

In den ersten Einvernahmen behauptete die Angeklagte, sie habe zugestochen, um sich gegen einen Vergewaltigungsversuch zur Wehr zu setzen. Die Staatsanwaltschaft wertet diese Angaben als Schutzbehauptung. Weder an der Leiche noch am Tatort fanden sich Spuren, die auf einen sexuellen Übergriff hingedeutet hätten. Abgesehen davon lehnte die 27-Jährige eine gynäkologische Untersuchung und auch weitere Beweisaufnahmen ab, die ihre Version hätten stützen können. Vor Gericht sprach sie noch von einem bevorstehenden Angriff. Das Opfer wurde allerdings in seinem Bekanntenkreis als „sehr gutgläubig und sehr gutmütig“ beschrieben, schilderte der Staatsanwalt. Abwehrverletzung wurden bei der Leiche laut medizinischem Gutachter Daniele Risser nicht gefunden.

Die psychiatrische Gutachterin Gabriele Wörgötter habe bei der Angeklagten eine kombinierte Persönlichkeitsstörung festgestellt, sie sei zudem schwer drogenabhängig, griff der Staatsanwalt in seinem Eröffnungsplädoyer vor. Dadurch habe sie u.a. eine verminderte Impulskontrolle und eine stark eingeschränkte Empathiefähigkeit. Zum Tatzeitpunkt war sie zurechnungsfähig. Aber unter Einfluss der Krankheit werde sie mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder solche Taten begehen, zitierte der Ankläger die Gutachterin.