Sorge vor neuer Eskalation in Nahost bei „Flaggenmarsch“
In Jerusalem steht am Dienstag mit dem „Flaggenmarsch“ ultrarechter Israelis eine erste Bewährungsprobe für die neue Regierung an. Der Aufmarsch nationalistischer Israelis durch den annektierten Ostteil der Stadt ab dem Nachmittag schürt die Furcht vor einem erneuten Aufflammen der Gewalt. Die Veranstaltung war vor einer Woche abgesagt worden, weil die Polizei die geplante Route, die auch durch palästinensische Viertel führen sollte, nicht genehmigte.
Im Mai war es zu schweren Zusammenstößen zwischen israelischen Sicherheitskräften und Palästinensern in Ost-Jerusalem gekommen. Die Krawalle mündeten in eine elftägige Gewalteskalation zwischen Israel und der im Gazastreifen herrschenden Hamas. Dabei wurden mehr als 270 Menschen getötet, die meisten der Opfer waren Palästinenser.
„Das Demonstrationsrecht ist ein Recht in allen Demokratien“, sagte der neue Minister für innere Sicherheit, Omer Bar-Lev, am Montagabend. „Die Polizei ist bereit und wir werden alles in unserer Macht Stehende tun, um das zarte Band der Koexistenz zu bewahren.“
Der palästinensische Ministerpräsident Mohammed Shtayyeh verurteilte den Marsch am Montag auf Twitter dennoch als „Provokation und Aggression gegen unser Volk, Jerusalem und seine Heiligtümer, die ein Ende haben muss“. Die beiden größten Palästinenserorganisationen Fatah und Hamas riefen zu einem „Tag des Zorns“ auf.
Ein Sprecher der Hamas erklärte am Dienstag, dass Vermittler an bewaffnete palästinensische Gruppen appelliert hätten, „sich nicht auf eine militärische Eskalation auf der Grundlage des Marsches einzulassen“. Er betonte jedoch, „alle Optionen bleiben auf dem Tisch“.
Vor dem Marsch wurden im Süden Israels mehrere Felder niedergebrannt. Die israelische Feuerwehr äußerte am Dienstag die Vermutung, dass die Feuer durch sogenannte Brandballons von militanten Palästinensern aus dem Gazastreifen ausgelöst wurden. Auf Videoaufnahmen war großflächig verbranntes Gras zu sehen. Medien berichteten von rund einem Dutzend Feuer. Am Grenzzaun zum Gazastreifen kam es nach Angaben der Armee zu Konfrontationen zwischen Soldaten und etwa 30 Palästinensern. In der Vergangenheit hatten militante Palästinenser immer wieder Brandballons aus dem Gazastreifen nach Israel geschickt.
Der UNO-Friedensbeauftragte für den Nahen Osten, Tor Wennesland, rief alle Seiten auf, sich verantwortungsbewusst zu verhalten, um den Ende Mai vereinbarten Waffenstillstand nicht zu gefährden.
Der neue israelische Ministerpräsident Naftali Bennett ist selbst ein Nationalist. Die Koalition aus acht Parteien, die er anführt, umfasst jedoch auch linke und gemäßigte Parteien sowie erstmals eine arabische Partei, die islamisch-konservative Raam-Partei.
Mit dem „Flaggenmarsch“ gedenken nationalistische Israelis der israelischen Besetzung von Ost-Jerusalem im Sechs-Tage-Krieg 1967. Israel hatte den Ostteil der Stadt 1980 annektiert. Die Annexion wird international nicht anerkannt. Israel hat ganz Jerusalem zu seiner „unteilbaren“ Hauptstadt erklärt, während die Palästinenser Ost-Jerusalem zur Hauptstadt ihres eigenen künftigen Staates machen wollen.
Der Flaggenmarsch soll um 16.30 Uhr beginnen, etwa 5.000 Teilnehmer werden erwartet. Unterstützer von Ex-Ministerpräsident Benjamin Netanyahu haben den Marsch organisiert. 2.000 Polizisten sollten den Marsch absichern, und die israelische Armee verlegte einem Zeitungsbericht zufolge auch zusätzliche Kräfte ins Westjordanland.