EU-Gipfel diskutiert Russland-Strategie

Deutschland und Frankreich wollen auf dem EU-Gipfel eine Neuausrichtung der Russland-Politik erreichen. Die 27-Staats- und Regierungschefs diskutieren am Abend einen deutsch-französischen Vorschlag, der ein neues Sanktionsregime, aber auch einen Gipfel mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin vorsieht. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) begrüßte den Vorstoß für ein Treffen mit dem Kremlchef. Er sprach sich zudem für neue EU-Flüchtlingshilfen an die Türkei aus.

Es könne nicht sein, dass sich der Dialog mit Russland und der EU „darauf beschränkt, dass wir da sitzen und zusehen, was (US-Präsident Joe) Biden und Putin miteinander besprechen“, sagte Kurz vor dem EU-Treffen. Die EU „ist geografisch näher an Russland, viele der Probleme betreffen uns unmittelbarer als die USA „, so der Kanzler. Daher werden „wir sowie Deutschland und andere Staaten einfordern, dass es einen direkten Austausch zwischen der Europäischen Union und Russland geben muss, trotz aller Unterschiede“. Er unterstütze einen „dualen Ansatz“: Klare Reaktion bei Menschenrechtsverletzungen, aber trotzdem Gesprächskanäle offen lassen.

Ähnlich äußerte sich die deutsche Kanzlerin Angela Merkel. „Es reicht nicht aus, wenn der amerikanische Präsident Joe Biden mit dem russischen Präsidenten redet“, sagte Merkel. „Die Europäische Union muss hier auch Gesprächsformate schaffen.“

Vertreter anderer EU-Staaten wie die Niederlanden oder Lettland äußerten sich skeptisch. Der Kreml verstehe nur „Machtpolitik“ und sehe „keine Gratis-Zugeständnisse als ein Zeichen der Stärke“, sagte etwa der lettische Ministerpräsident Krisjanis Karins.

Russland begrüßte unterdessen den Vorstoß für eine Rückkehr zu Spitzentreffen mit der EU. Die ukrainische Regierung warnte hingegen vor der Wiederaufnahme der Gespräche.

Ähnlich uneins ist die EU beim Verhältnis zur Türkei und in der Migrationspolitik. Einige Staaten wollen den Flüchtlingspakt mit der Türkei von 2016 retten. Der Regierung in Ankara sollen deshalb neue Hilfen zur Versorgung syrischer Geflüchteter in Aussicht gestellt werden - nach Vorstellungen der EU-Kommission wären das 3,5 Milliarden Euro bis 2024.

Kurz erklärte dazu: „Wenn die Europäische Kommission hier zusätzliches Geld in die Hand nimmt, ist es angemessen und in Ordnung, es muss aber auch damit verbunden sein, dass verhindert wird, dass Menschen illegal weiterziehen.“ Auch Deutschland unterstützt den Vorschlag.

Gleichzeitig verwies Kurz auf die Menschenrechtssituation in dem Land. „Es finden dort nach wie vor Menschenrechtsverletzungen statt, Grund- und Freiheitsrechte sind eingeschränkt.“ Die schnelle Reaktion der EU auf die Entwicklungen in Belarus begrüßte Kurz, gleichzeitig betonte er, bei der Türkei nicht wegsehen zu wollen. „Glaubwürdigkeit hat man als EU immer dann, wenn man keine Doppelstandards“ setzt, so der Bundeskanzler.

Kurz nach Beginn des Gipfels stand die Coronavirus-Pandemie auf der Agenda. Kurz forderte in diesem Zusammenhang, dass für die Inhaber des europäischen Covid-Zertifikats („Grüner Pass“) die Quarantäne in Europa gänzlich wegfallen soll. „Es wäre gut, wenn alle etwas großzügiger wären“, er sei sich aber nicht sicher, ob dies beim EU-Gipfel auch gelinge.

Zum Auftakt des EU-Gipfels berieten die Staats- und Regierungschefs mit UNO-Generalsekretär Antonio Guterres. Dieser forderte die EU auf, in Migrationsfragen gemeinsam zu handeln und mehr Solidarität mit den Ländern zu zeigen, die Geflüchtete aufnehmen.

Überschattet wurde der Gipfel von einem erbitterten Streit in der EU über ein neues ungarisches Gesetz zu Informationen über Homosexualität. 17 Staaten haben Protest eingelegt und warnen vor Diskriminierung sexueller Minderheiten, auch Kurz hat den Brief unterschrieben. Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban wies die Kritik zurück und machte deutlich, dass er das Gesetz nicht zurückziehen will. Das Gesetz tritt in 14 Tagen in Kraft.