UNHCR würdigt 70 Jahre Genfer Flüchtlingskonvention

Sie ist „heute so relevant wie 1951“, sagt Filippo Grandi, UNO-Hochkommissar für Flüchtlinge über die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), die heute vor 70 Jahren verabschiedet wurde. „Sie bleibt ein lebensrettendes Schutzinstrument“, sagte Grandi anlässlich des Jahrestages. Caritas-Präsident Michael Landau würdigte das Dokument am Montag als „bis heute (...) beste Basis für den Schutz flüchtender Menschen“, kritisierte zugleich aber deren häufige Missachtung.

Zwar haben Entwicklungsländer die meisten Geflüchteten aufgenommen, aber die Industrieländer stöhnen am lautesten. Die Menschen werden längst nicht mehr mit offenen Armen empfangen, sondern als Bedrohung empfunden, so Grandi gegenüber der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Grandi räumte ein, dass das Asylsystem in Europa an seine Grenzen stößt. Das liege aber nicht an der Konvention, vielmehr müsse das System reformiert werden. Asylgesuche müssten schneller, innerhalb von Wochen, geprüft und Abgelehnte schneller zurückgeschickt werden. „Wenn das System effizienter wäre, gäbe es auch weniger Missbrauch.“

Wegen Missbrauchs der Konvention durch Schlepper, die Menschen die Chance auf Asyl vorgaukeln und sie gegen viel Geld über Grenzen schmuggeln, die Konvention zu verdammen, sei Unfug, sagte Alberto Achermann, Professor für Migrationsrecht an der Universität Bern der dpa. „Da schlägt man den Sack, obwohl der Esel gemeint ist. Man kann ja ein System nicht abschaffen, nur weil es von einigen missbraucht wird.“ Und er fügt hinzu: „Was wäre, wenn wir die Konvention nicht hätten? Was soll mit einer Person passieren, die sagt, sie wird gefoltert, wenn sie in ihre Heimat zurückkehrt? Man kommt nicht drum herum, den Fall zu prüfen, wenn man nicht barbarisch sein will.“

Über die Konvention neu zu verhandeln, ist aus Sicht von Anuscheh Farahat, Professorin der Universität Erlangen-Nürnberg für Öffentliches Recht, Migrationsrecht und Menschenrechte, nicht unproblematisch. „Wir würden sicher nicht das gleiche Schutzniveau bekommen, wenn wir es neu verhandeln - das Kalkül vieler solcher Vorschläge wäre ja, eine Neuregelung zu finden, die die Praxis der EU, die Flüchtlinge möglichst von den Grenzen fernzuhalten, in Recht zu gießen.“

In der Konvention fehle aber ein Verteilschlüssel, sagte Farahat der dpa, damit nicht die krisennahen Staaten die meisten Flüchtlinge aufnehmen müssen oder - wie in der EU tendenziell - die Länder an den Außengrenzen. Sie befürchtet, dass die europäischen Staaten in den nächsten Jahren versuchen könnten, den Flüchtlingsschutz noch mehr in Drittstaaten zu verlagern, etwa durch Aufnahmezentren fern der eigenen Grenze. Ihr Fazit: „Gut, dass wir die Konvention haben, aber sie reicht allein nicht aus. Wir brauchen noch einen effektiveren Schutz, damit Menschen nicht in menschenunwürdigen Situationen leben müssen.“

Landau, Präsident der Caritas Österreich, mahnte: „Seit geraumer Zeit sind Pushbacks an den EU-Außengrenzen Realität. Auch der Umstand, dass Griechenland Asylverfahren für Menschen suspendiert, die aus Syrien, Afghanistan oder Somalia flüchten müssen, steht im klaren Widerspruch zur Konvention. Und nicht zuletzt laufen Überlegungen wie in Dänemark, Asylsuchende zur Bearbeitung ihrer Anträge in Drittstaaten zu überstellen, in welchen die Ressourcen möglicherweise weder für die Sicherheit noch für faire Verfahren ausreichend sind, Text und Geist der Genfer Flüchtlingskonvention zuwider.“ Anstatt über Adaptierungen nachzudenken, oder die Konvention infrage zu stellen, sollte es Landau zufolge jetzt in erster Linie darum gehen, dass die Bestimmungen so umgesetzt werden, wie sie im Rahmen der Konvention beschlossen wurden.

Hinsichtlich Österreich erinnerte Landau: „Geflüchtete Menschen, die in Österreich oder Ländern der EU ein Zuhause gefunden haben, spielen nicht nur seit langem eine wesentliche Rolle bei der Aufrechterhaltung der europäischen Wirtschaft in unterschiedlichen Sektoren wie der Gastronomie und Hotellerie, dem Bau- und Gesundheitswesen, sondern sind Teil unsere Kultur und zu Nachbar*innen und oft auch Freund*innen geworden.“Der Zugang zu Schutz in Österreich und in der EU müsse erhalten bleiben.

Laut dem UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) waren mit Ende 2020 20,7 Millionen Menschen Flüchtlinge durch die Genfer Flüchtlingskonvention geschützt. Nach Europa kommen demnach - selbst wenn das oft anders wahrgenommen werde - nur ein Bruchteil der Flüchtlinge. „73 Prozent der Flüchtlinge harren in ihren Nachbarländern aus, insgesamt 86 Prozent aller Flüchtlinge weltweit werden von sogenannten Entwicklungsländern aufgenommen“, heißt es in einer Aussendung des UNHCR Österreich. Dessen Leiter Christoph Pinter betonte: „Erstzufluchtsstaaten, die eine große Zahl von Flüchtlingen aufnehmen, dürfen nicht alleine gelassen werden. Das beginnt mit verstärkter Hilfe vor Ort, die Österreich dankenswerterweise in den letzten Jahren intensiviert hat. Gleichzeitig zählt dazu aber auch die geordnete Aufnahme von Flüchtlingen über Aufnahmeprogramme wie Resettlement. Im Jubiläumsjahr appellieren wir daher an die Bundesregierung, den Flüchtlingsschutz in Österreich weiterhin hochzuhalten und sich zukünftig auch wieder an Resettlement zu beteiligen.“

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