Richter wird Kanzler Kurz befragen

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) wird im Zuge der Ermittlungen gegen ihn wegen mutmaßlicher Falschaussage im U-Ausschuss von einem Richter befragt werden und nicht von der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA). Das Justizministerium bestätigte am Montag einen Online-Bericht der „Presse“. Demnach hat das Justizministerium Montagabend eine entsprechende Weisung erteilt, die dem Wunsch von Kurz‘ Rechtsvertreter entspricht.

Die ÖVP befindet sich schon länger im Clinch mit den Korruptionsermittlern. „Mangelnde Objektivität der WKStA jetzt amtlich“, befand nun ÖVP-Fraktionsführer im U-Ausschuss, Andreas Hanger, in einer Aussendung. „Endlich sieht auch das Justizministerium auf Antrag des Anwalts von Bundeskanzler Kurz die Notwendigkeit auf eine Vernehmung durch einen unabhängigen Richter anstatt der WKStA.“ Die Entscheidung sei „ein mehr als klares Signal in Richtung der Staatsanwaltschaft“, glaubt er. „Obwohl die WKStA von Werner Suppan, dem Anwalt von Bundeskanzler Kurz, auf dessen Recht und die Notwendigkeit zur Vernehmung durch einen Richter hingewiesen wurde, wurde das konsequent ignoriert.“ Einzelne Staatsanwälte der WKStA, meint Hanger, hätten schon bei der BVT-Razzia und vielen anderen Aktionen „gezeigt, dass sie von Objektivität weit entfernt sind“. Der Abgeordnete sprach wörtlich von einem „Abwehrkampf der WKStA gegen die berechtigten Rechtsmittel eines Staatsbürgers“.

Justizministerin Alma Zadic (Grüne) müsse erklären, „warum Kurz eine Sonderbehandlung erhält“, kritisierte dagegen SPÖ-Justizsprecherin Selma Yildirim. Bisher sei die Bestimmung nur auf Justizbeamte angewandt worden. „Für den Bundeskanzler wird also das gelebte Recht gebogen und somit der Eindruck einer Zwei-Klassen-Justiz erweckt“, ortete Yildirim ein „Einknicken“.

Das Justizministerium hatte freilich in ihrer Aussendung Montagabend betont, dass die Entscheidung „ausschließlich aus rechtlichen Erwägungen“ getroffen worden sei. „Ausdrücklich festgehalten wird, dass mit dieser Entscheidung keinerlei Vorbehalt des Justizministeriums gegenüber der fallführenden Staatsanwaltschaft verbunden ist.“ Der weitere Ablauf des Verfahrens bleibt denn auch in der Hand der Korruptionsstaatsanwaltschaft: „Die WKStA bleibt als fallführende Staatsanwaltschaft Herrin des Verfahrens.“

Die WKStA ermittelt nach einer Anzeige gegen Kurz wegen des Verdachts, den Ibiza-Untersuchungsausschuss in mehreren Punkten falsch informiert zu haben. Im Kern geht es dabei um die Frage, wie intensiv Kurz unter Türkis-Blau in die Reform der Staatsholding ÖBAG involviert war. Bei seiner Befragung im Ausschuss hatte der Kanzler seine Rolle bei der Auswahl des Aufsichtsrats sowie bei der Bestellung des umstrittenen Ex-ÖBAG-Chefs Thomas Schmid heruntergespielt und sinngemäß von normalen Vorgängen gesprochen. Später aufgetauchte Chatprotokolle legen allerdings eine enge Abstimmung zwischen Schmid und Kurz nahe.

ÖVP-Anwalt Suppan hatte gefordert, dass die Befragung des Bundeskanzlers nicht durch die Staatsanwaltschaft erfolgen soll, sondern durch einen Richter. Als Grund nannte Suppan, dass es „um einen besonderen Fall und eine besondere Persönlichkeit geht“. Sowohl Kurz selbst als auch die ÖVP hatten die WKStA in der Vergangenheit wiederholt attackiert und ihr vorgeworfen, parteipolitisch zu agieren. Justizministerin Zadic stellte sich dagegen hinter die Ermittler, die Staatsanwaltschaft selbst beklagte politisches Störfeuer gegen ihre Ermittlungen.

Das Justizministerium erläuterte nun in der Aussendung Montagabend, dass die Oberstaatsanwaltschaft Wien sich an die zuständige Sektion für Einzelstrafsachen des Justizministeriums gewandt hatte, um zu klären, ob im Verfahren gegen Kurz die rechtlichen Voraussetzungen für eine Beschuldigteneinvernahme durch einen Richter vorliegen. Die Strafprozessordnung (Paragraf 101 Abs. 2) sieht als Voraussetzungen sowohl eine besondere Bedeutung des Beschuldigten als auch eine besondere Bedeutung der Straftat und daher bestehendes öffentliches Interesse an der gerichtlichen Beweisaufnahme vor.

„Zum ersten Mal wird gegen einen amtierenden Bundeskanzler wegen des Verdachts einer Straftat ermittelt, die dieser während der laufenden Amtszeit und in der Funktion als Bundeskanzler vor einem verfassungsmäßig garantierten parlamentarischen Kontrollgremium (Ibiza-Untersuchungsausschuss) mutmaßlich begangen haben soll. Daher sind sowohl der Beschuldigte als auch die Strafsache von besonderer Bedeutung“, erklärt das Justizministerium seine Entscheidung. Diese Rechtsansicht werde auch vom Weisungsrat und der zuständigen Oberstaatsanwaltschaft Wien geteilt. Die WKStA wird nunmehr beim Landesgericht für Strafsachen Wien einen Antrag stellen, dass der Kanzler bezüglich des Verdachts der falschen Beweisaussage vor dem Ibiza-Untersuchungsausschuss durch einen Richter vernommen wird.

Wann die Beschuldigteneinvernahme stattfindet, ist noch unklar. Kurz hat jedenfalls zuletzt betont, auch bei einer Anklageerhebung gegen ihn nicht zurücktreten. „Ja, selbstverständlich“, antwortete Kurz in einem Interview mit „Bild live“ auf die Frage, ob ein Angeklagter Bundeskanzler sein könne. Es sei bei solchen Anklagen „nie etwas dran“ gewesen und sie hätten sich „alle als falsch herausgestellt“. Er wisse, was er getan und nicht getan habe. „Ich habe definitiv immer vorsätzlich die Wahrheit gesagt“, bekräftigte der ÖVP-Chef seine Verteidigungslinie.

Kritik an den Aussagen von Kurz kam am Montag von SPÖ und FPÖ. „Ein Kanzler kann nicht gleichzeitig auf der Regierungsbank und Anklagebank sitzen“, sagte SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch in einer Aussendung. FPÖ-Verfassungssprecherin Susanne Fürst ortete eine „Unverfrorenheit von ÖVP-Kanzler Kurz“, die „langsam unerträglich“ werde. Auch die NEOS zeigten sich kritisch: „Dass sich Kanzler Kurz offenbar nur Gedanken über die drohende eigene Anklage macht, dabei einmal mehr die unabhängige Justiz zu diskreditieren versucht und sich selbst freispricht, zeigt, dass er vor allem mit sich selbst beschäftigt ist“, so der stellvertretende NEOS-Klubobmann Nikolaus Scherak.

Die NEOS kritisierten am Montag aber auch Aussagen des ÖVP-Chefs von vergangener Woche: In einem Interview mit „vol.at“ hatte der Kanzler einen Vergleich zwischen Missbrauchsskandalen in der katholischen Kirche und der Justiz gezogen. Es müsse „möglich sein, dass die Arbeit von Einzelpersonen kritisch hinterfragt werden darf“, sagte er. „Es gab eine Institution, die ist früher niemals hinterfragt worden - das ist die katholische Kirche“, so der Kanzler weiter. „Als es Missbrauchsfälle gegeben hat, haben einige sogar versucht, das zu vertuschen - und das war am Anfang nicht gern gesehen, wenn es öffentlich Kritik an der Kirche gab. Ich glaube, dass das der Kirche nicht gut getan hat. Ich glaube, keine Institution sollte sakrosankt sein“, betonte Kurz. „Und jeder sollte in Ruhe seiner Arbeit nachgehen können. Aber wenn sich jemand etwas zuschulden kommen lasst, dann ist es auch legitim, das anzusprechen.“ Er glaube, „dass wir schon im Bereich der WKStA hier einige auch Problemfelder gesehen haben in der letzten Zeit.“

„Das ist die nächste Entgleisung des Bundeskanzlers“, sagte NEOS-Generalsekretär Douglas Hoyos dazu in einer Aussendung. „Immer wenn man glaubt, tiefer geht es nicht, zeigt uns Kurz, dass es doch noch tiefer geht“, meinte auch SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch. Staatsanwälte „mit pädophilen Priestern in den Vergleich zu ziehen, ist ungeheuerlich und ein absoluter Tiefpunkt“.

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