„Immer noch Loge“: Bayreuther Österreich-Tag begann im Teich

Ist es Blasphemie zu überlegen, was nach dem Ende der Welt kommt? Wohl nicht, wenn es als so amüsantes kleines Gedankenspiel daherkommt wie „Rheingold - Immer noch Loge“. Mit der Uraufführung von Gordon Kampe nach einem Libretto des österreichischen Erfolgsautors Paulus Hochgatterer und inszeniert vom Puppenmagier Nikolaus Habjan eröffneten die Festspiele Bayreuth den Donnerstag, der dem Nachdenken über den „Ring“ gewidmet ist. Und der freche Epilog machte hierzu den Prolog.

Hochgatterer nahm sich als Ausgangspunkt für seinen Text die Frage, was nach dem Ende der „Götterdämmerung“ passiert. Walhall ist abgebrannt, nachdem Brünnhilde Lunte gelegt und den Untergang der Götter befeuert hatte. Erda und die drei Rheintöchter sind die Überlebenden der Katastrophe und halten nun Gericht über Loge. Nachdem Brünnhilde selbst in die Flammen gegangen ist, ist der Feuerbote der Einzige, dem man noch habhaft wird. Es entspinnt sich ein Gerichtskrimi nach dem Ende der Zeiten. Oder besser gesagt in der liminalen Phase nach dem Untergang der Götterwelt und vor dem Aufstieg des Menschengeschlechts.

250 Menschen hatten sich dafür rund um den Teich im Park des Festspielhauses versammelt - während das selbstironisch agierende dreiköpfige Sängerensemble sich am Ende darin fand. Stephanie Houtzeel von der Wiener Staatsoper, Günter Haumer von der Volksoper und Daniela Köhler agieren anfangs im poppigen 60er-Jahre-Outfit vom Ufer. Dabei belässt es Nikolaus Habjan jedoch nicht, sondern schickt seine Darsteller letztlich in den Teich, wo sie in direkte Interaktion mit ihren Puppen-Alter-Egos treten. Trockenen Fußes kommt hier keiner durch den Vormittag.

Habjan doppelt die Charaktere wieder allesamt mit Klappmaulpuppen, und während die als kalte Wasserwesen gestalteten Rheintöchter-Puppenpendants von Beginn an das Brackwasser der Anlage durchmessen, sitzt die alte Erda als altweise Urmutter mit abgeratztem Pelzmantel im Rollstuhl am Ufer - mehr Gerda aus dem Altenheim als Erda aus den Untiefen.

„An Freitagen urteilt es sich leichter über das Elend, über den Brand der Welt“, konstatiert die Weltenrichterin in tagesaktueller Fridays-for-Future-Anspielung. In der folgenden Stunde geht es dann über die Dichotomie zwischen Mann und Feuer auf der einen sowie Frau und Wasser/Erde auf der anderen Seite, um das Spiel mit dem Feuer und der Übernahme von Verantwortung für eine vollends zerstörte Welt. Leider wird hier Hochgatterer Libretto bisweilen zu repetitiv gefasst, trüge der Text doch den Diskurs ohne Wiederholung durchaus.

Dass „Immer noch Loge“ dabei nicht zu eschatologisch-schwer ausfällt, ist nicht zuletzt der percussionlastigen, verstärkten Musik des 44-jährigen Gordon Kampe zu verdanken, der für den erfrischend unverkopften Zugang sorgt. „Ich mache keine Gelehrtenmusik“, konstatierte der deutsche Komponist einmal in einem Interview und löst dieses Versprechen in Bayreuth ein. Am Beginn steht minutenlang elektronisches Urgrundeln, das gleichsam den Bogen - oder besser den Ring - schlägt zum Auftakt des „Rheingoldes“. Über weite Strecken kommt Kampes Arbeit dann aber als Eisler oder Weill des 21. Jahrhunderts daher. Liedhafte Momente, die meist der von Houtzeel gesungenen Erda zugeordnet sind, wechseln sich mit kabarettistisch durchrhythmisierten Tutti ab. Einzelne Akkorde täuschen „Rheingold“-Zitate an, um sogleich wieder in eine andere Richtung abzubiegen.

Kampe ist Professor in Hamburg, Kirchenmusiker in Herne und Komponist in Bayreuth - mithin ein vielseitiger Kopf, der keineswegs auf einen didaktischen Zugang, sondern auf aufgeklärte Hörer auf Ohrenhöhe setzt. Und für eben diese hat das Trio Kampe/Hochgatterer/Habjan eine feine, kleine Groteske geschaffen, die freilich eine gewisse Insiderkenntnis voraussetzt, aber ohne falsche Scheu und zugleich ohne Abgrenzungswahn das Weltwähnen weitertreibt. Und wenn am Ende die Wasserwesen Loge entzünden, stellt sich die Frage, ob man einen Feuergott, der den Weltenbrand überlebt hat, wirklich verbrennen kann. Wenn da mal nicht noch ein Epilog zum Epilog am entflammten Horizont dräut...

In jedem Falle eröffnete die am Ende beklatschte rot-weiß-rot geprägte Wassermusik nicht nur den Österreich-Tag bei den Festspielen, dem am Nachmittag die von Hermann Nitsch gestaltete semiszenische „Walküre“ folgt, sondern auch die aktuelle Diskurs-Schiene unter dem Titel „Ring 20.21“. Nachdem pandemiebedingt der geplante neue „Ring“ in der Inszenierung des österreichischen Jungregisseurs Valentin Schwarz auf 2022 verschoben wurde, sinniert man zumindest über jeden der vier „Ring“-Teile, um die Wartezeit zu verkürzen. Neben der Kampe/Hochgatterer/Habjan-Fortdenkung und der Nitsch-Umspielung gehört dazu die mächtige Installation „Der Schicksalsfaden“ von Chiharu Shiota im Park, die in blitzendem Rot die Irrungen und Wendungen der „Götterdämmerung“ symbolisiert, sowie ein virtuelles Projekt von Jay Scheib zum „Siegfried“.

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