Ruzowitzkys „Hinterland“ feierte Weltpremiere in Locarno
Mit der Weltpremiere seines neoexpressionistischen Thrillers „Hinterland“ hat Österreichs Starregisseur Stefan Ruzowitzky am Abend in Locarno die Piazza Grande bespielt - und dabei den Gästen der am Mittwoch eröffneten Filmfestspiele keine sommerlich-leichte Kost geboten. Mit Murathan Muslu als gebrochener Kriegsheimkehrer, gelingt dem Oscarpreisträger ein stilisiertes, optisches Spektakel in der Tradition des deutschen Expressionismus, das düstere Porträt einer Umbruchszeit.
Im Zentrum steht der einstige Kriminalbeamte Peter Perg (Muslu), dessen Welt zerbrochen ist. Oder besser gesagt: Es gibt sie schlicht nicht mehr. Als der einstige Kriminalbeamte zwei Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkrieges aus russischer Kriegsgefangenschaft nach Wien zurückkehrt, ist die Monarchie perdu, das Reich ebenso und auch die alte Ordnung der Gesellschaft. Es ist eine derangierte Welt, in die Perg geworfen wird - und Ruzowitzky zeigt sie gemeinsam mit seinem Stammkameramann Benedict Neuenfels als eben solche. In Hommage an expressionistische Klassiker wie Robert Wienes „Cabinet des Dr. Caligari“ erschaffen sie ein Wien, in dem die Perspektiven verschoben sind, die Gebäude sich antinaturalistisch aufeinandertürmen. Anders als in den Vorbildwerken aus den 20ern sind die Hintergründe jedoch nicht mittels realer Bühnenbilder erzeugt, sondern gänzlich digital, wurde „Hinterland“ doch beinahe vollständig vor Bluescreen gedreht.
„Der Kulturschock war nach dem Ersten Weltkrieg offensichtlich viel größer als nach dem Zweiten Weltkrieg“, hatte Ruzowitzky einst im APA-Interview räsoniert: „Das ist eigentlich die viel interessantere Zeit.“ Diesem Impetus entsprechend ist sein „Hinterland“ ein bildstarkes Epochenporträt geworden, ein symbolistisches Werk aus der Frühphase der Zwischenkriegszeit, in der die Nachwirkungen des Zusammenbruchs die Hoffnungsmomente des Aufbruchs noch überwogen. Und zugleich belässt es der erfahrene Publikumsregisseur Ruzowitzky nicht bei diesem historischen Panoptikum, sondern webt eine etwas konventionelle Thrillerhandlung in diese verschobene Wahrnehmung ein.
So geschieht alsbald ein Mord an Pergs einstigem Kameraden Krainer (Timo Wagner), wodurch der Kriegsheimkehrer kurzzeitig sogar zum Verdächtigen mutiert. So erwachen in dem am Boden liegenden Mann die alten Ermittlerinstinkte. Schnell wird klar, dass der Mord an Krainer nur der Auftakt zu einer ganzen Serie an Ritualmorden ist, die auf mysteriöse Weise miteinander und mit der Vergangenheit Pergs zusammenhängen. An seiner Seite auf der Suche nach dem Serienmörder ist die junge Gerichtsmedizinerin Theresa Körner, gespielt von „Babylon Berlin“-Star Liv Lisa Fries mit dezentem Wiener Akzent.
Dabei ist die wieder tough agierende Fries neben Margarethe Tiesel als ungarische Haushälterin die einzige Frau im Rund eines von toxischer Männlichkeit dampfenden Tableaus. Eine Männlichkeit, die letztlich desavouiert wird. Nach der Locarno-Weltpremiere der internationalen Koproduktion, an der von österreichischer Seite federführend die FreibeuterFilm beteiligt war, können sich Filmfans davon nach jetzigem Stand ab 8. Oktober in den heimischen Kinos überzeugen.
)