Taliban eroberten Flughafen und Militärbasis in Kunduz

Die militant-islamistischen Taliban haben in der Großstadt Kunduz im Norden Afghanistans nun auch den Flughafen und eine große Militärbasis erobert. Das bestätigten Provinzräte und Sicherheitskreise am Mittwoch. Die wichtigsten Regierungseinrichtungen in Kunduz waren bereits am Sonntag von den Taliban erobert worden. Sicherheitskräfte und lokale Regierungsvertreter flohen daraufhin zum Flughafen und in die Basis des 217. Armeekorps in der Nähe.

Aus Sicherheitskreisen hieß es, die Islamisten hätten seit Sonntag die Basis und den Flughafen angegriffen und seien dabei vergleichsweise langsam, aber stetig vorgegangen. Details waren zunächst unklar.

Am Mittwoch in der Früh habe schließlich eine große Anzahl Sicherheitskräfte mitsamt Regierungsvertretern in einem Konvoi gepanzerter Fahrzeuge die Basis verlassen, um in den Bezirk Warsaj zu gelangen. Dort sind bereits Soldaten aus anderen gefallenen Teilen der Provinzen Takhar und Badakhshan.

Kurz darauf soll sich der Kommandant der Spezialkräfte der Polizei mit zwölf weiteren den Taliban ergeben haben. Wenig später sei eine Gruppe von 30 bis 40 Kräften, die sich auch nach Warsaj durchschlagen wollte, von den Taliban aus dem Hinterhalt angegriffen worden. Daraufhin hätten sich mindestens 100 in der Basis Zurückgebliebene kampflos den Taliban ergeben. Wie es zum Fall des Flughafens kam, war zunächst unklar.

Videos in sozialen Medien zeigten Taliban-Kämpfer vor einem Hubschrauber innerhalb des Flughafengeländes. Allerdings ist der Hubschrauber nicht einsatzbereit - ihm fehlen die Rotorblätter. Am Flughafen seien keine einsatzfähigen Flieger mehr gewesen, da die Islamisten diese beschossen hätten, sagte ein Provinzrat.

Das 217. Korps der afghanischen Armee in Kunduz wird zwar Korps genannt, de facto ist es aber nur eine Division. Die Armee wollte den Stützpunkt zu einem Korps ausbauen, allerdings konnten nicht genügend Soldaten und Mittel dafür gefunden werden. Es war für die Provinzen Kunduz, Takhar und Badakhshan zuständig. Bei normaler Besetzung sollten dort rund 800 bis 1.000 Mann stationiert sein.

Aus Militärkreisen heißt es, Hunderte Humvees und rund 5.000 Waffen von Kalaschnikow bis zu schweren Maschinengewehren dürften in der Basis sein. Es war unklar, wieviel davon rechtzeitig fortgeschafft wurde.

US-Präsident Joe Bidens Sprecherin Jen Psaki wollte sich nicht direkt zu dem Bericht äußern, sagte jedoch, dass die Zukunft Afghanistans noch längst nicht beschlossen sei. „Wir beobachten die sich verschlechternde Sicherheitslage in Teilen des Landes intensiv, aber unserer Ansicht nach ist kein Ausgang unvermeidbar“, sagte Psaki.

Es gibt auch Beobachter, die keinen schnellen Fall von Kabul sehen. Ungeachtet des aktuellen Zusammenbruchs wäre ein Kampf um Kabul wahrscheinlich „lange und blutig“, sagt der Afghanistan-Experte der Denkfabrik International Crisis Group, Andrew Watkins.

Die USA und ihre Verbündeten wollen trotz der Entwicklung nichts mehr an ihrem schon weitgehend abgeschlossenen Abzug aus Afghanistan ändern. Die Afghanen müssten nun „selbst kämpfen, um ihren Staat kämpfen“, sagte US-Präsident Joe Biden. „Aber sie müssen auch kämpfen wollen.“ Zum US-Truppenabzug sagte der Präsident: „Ich bedauere meine Entscheidung nicht.“

Zum Zeitpunkt der Abzugs-Entscheidung hatten die USA (ohne Söldner) offiziell noch rund 2.500 Soldaten in Afghanistan. Inzwischen ist der Abzug zu mehr als 95 Prozent abgeschlossen, bis zum Monatsende soll er komplett beendet sein. Die Soldaten anderer Länder - darunter auch eine geringe Zahl aus Österreich - haben Afghanistan bereits verlassen.

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